Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
sind schwer zu gießen, sehr schwer.»
«Könnt Ihr das?», fragte Joscelyn, der bereits von einer Kanonengießerei in Berat träumte.
«Ich nicht, Herr. Aber dafür gibt es Spezialisten. Oder nehmt Glockengießer, die wissen, wie es geht. Es gibt übrigens eine Möglichkeit, Euch zu vergewissern, dass sie gute Arbeit leisten.»
«Und die wäre?», fragte Joscelyn neugierig.
«Befehlt ihnen, sich neben die Geschützkammer zu stellen, wenn der erste Schuss abgefeuert wird. Dann passen sie auf, was sie tun!» Gioberti kicherte. «Ich habe es bei Höllenfeuer genauso gehalten, und die Gießer haben keine Miene verzogen. Was beweist, dass sie solide verarbeitet ist.»
Eine leinene Zündschnur, getränkt mit einer Mischung aus Öl und Schießpulver und geschützt durch eine ebenfalls leinene Hülle, wurde so in die Kanone eingeführt, dass das eine Ende in der Geschützkammer lag, während das andere aus dem schmalen Hals heraushing, in den das Geschoss platziert werden würde. Einige Kanoniere, erklärte Gioberti, bohrten ein Loch in die Rückseite der Geschützkammer, doch er war der Ansicht, ein solches Loch schwäche die Schusskraft der Kanone, und deshalb zog er es vor, die Schnur von vorne zu zünden. Die weiße Leinenhülle wurde mit einer Handvoll Lehm an der Innenseite des Kanonenhalses angedrückt, und erst als der Lehm ein wenig angetrocknet war, befahl Gioberti zwei Männern, einen der pfeilförmigen Bolzen zu holen. Vorsichtig schoben sie ihn in den schmalen Kanonenhals hinein, bis nur noch die Spitze herausschaute. Dann wurde wiederum Lehm gebracht, frisch angerührt aus Flusswasser und einer Mischung aus Sand und Ton, die die Kanoniere eigens mitgebracht hatten, und damit wurde der Kanonenhals rund um das Geschoss sorgfältig verschlossen. «Das ist wichtig, damit die Explosion nicht verpufft, Herr», erklärte Gioberti. «Ohne den Lehm würde die Kanone den Bolzen nur ausspucken, ohne jede Stoßkraft.»
«Darf ich die Schnur entzünden?», fragte Joscelyn, aufgeregt wie ein kleines Kind, das ein neues Spielzeug ausprobieren will.
«Selbstverständlich, Herr», sagte Gioberti, «aber noch ist es nicht so weit. Der Lehm muss erst hart werden.»
Das dauerte weitere drei Stunden, doch als die Sonne zwischen den Wolken am Horizont durchbrach und die Westseite der Burg anstrahlte, verkündete Gioberti, nun sei alles bereit. Die Pulverfässer waren in einem benachbarten Haus verstaut, wo kein Funke sie erreichen konnte, die Kanoniere hatten sich in sicheren Abstand zurückgezogen, für den Fall, dass die Geschützkammer doch zerbersten sollte, und die Strohdächer der umliegenden Häuser waren mit Wasser befeuchtet worden. Die Kanone war mit Hilfe eines Keils so aufgerichtet worden, dass sie auf die Oberkante des Burgtores zeigte, doch wie der Stückmeister erklärte, würde der Bolzen im Flug einen leichten Bogen beschreiben und somit genau die Mitte des Tores treffen. Er befahl einem seiner Männer, aus dem Goldenen Bären eine brennende Fackel zu holen, und nachdem er sich ein letztes Mal vergewissert hatte, dass alles war, wie es sein sollte, verneigte er sich vor Joscelyn und reichte ihm die Fackel. Ein Priester sprach seinen Segen und hastete dann in die Gasse neben der Schankstube. «Ihr braucht nur die Spitze der Schnur zu entzünden, Herr», sagte Gioberti, «dann können wir ins Torhaus hinaufgehen und von oben zusehen.»
Joscelyn betrachtete noch einmal die dicke schwarze Pfeilspitze, die aus dem Kanonenhals herausschaute, dann hielt er die Fackel an die Leinenschnur, und das Schießpulver daran begann zu zischen. «Zurück, Herr, wenn ich bitten darf», mahnte Gioberti. Eine kleine Rauchfahne stieg vom glühenden Ende der Schnur auf, das sich immer näher an die Mündung der Kanone heranfraß. Joscelyn hätte gerne zugesehen, wie es im Innern verschwand, doch Signor Gioberti ging in seiner Sorge sogar so weit, den Grafen am Ärmel zu zupfen, und so folgte Joscelyn ihm gehorsam auf die Brustwehr des Torhauses. Von dort starrte er hinüber zur Burg. Auf dem Turm spielte das Banner des Earl of Northampton in der schwachen Brise. Nicht mehr lange, dachte Joscelyn.
Dann erbebte die Erde. Der Knall war so laut, dass Joscelyn meinte, mitten im Donner zu stehen. Der Krach traf so plötzlich und mit solcher Wucht auf seine Ohren, dass er unwillkürlich zusammenzuckte. Dann füllte sich die gesamte Straße vor ihm bis zu den Dachfirsten mit Rauch, durch den ein Kometenschweif von glühenden Funken und
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