Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
und seine Empörung schien gerechtfertigt, denn Robbie Douglas war ein umgänglicher junger Mann mit offenem, stupsnasigem Gesicht.
«Man hat sie gefoltert», erklärte Thomas. «Kannst du dir vorstellen, was das mit einem Menschen macht?» Unwillkürlich blickte er auf seine verkrümmten Hände, deren Knochen von Daumenschrauben gebrochen worden waren. Er hatte damals geglaubt, er würde niemals wieder einen Bogen spannen können, doch Robbie, sein Freund, hatte nicht locker gelassen und ihn immer wieder zum Üben angetrieben. «Sie wird sich schon wieder berappeln», fügte er hinzu.
«Ich versuche doch nur, nett zu sein», verteidigte sich Robbie. Thomas warf seinem Freund einen Blick zu. Robbie errötete und wechselte das Thema. «Der Bischof wird eine neue Vollmacht schicken», sagte er. Thomas hatte die erste, die zusammen mit allen anderen Dokumenten der Burg in der eisenbeschlagenen Truhe des Kastellans gelegen hatte, verbrannt. Die übrigen Pergamente waren hauptsächlich Steuerrollen, Lohnlisten, Verzeichnisse von Einwohnern, Läden und dergleichen mehr. Ein paar Münzen waren auch in der Truhe gewesen, die Steuergelder und gleichzeitig die erste Beute unter Thomas’ Befehl. «Was willst du dann tun?», bohrte Robbie nach.
«Was soll ich denn deiner Meinung nach tun?», fragte Thomas.
«Du wirst sie verbrennen müssen», erwiderte Robbie entschieden. «Dir bleibt keine andere Wahl. Der Bischof wird darauf bestehen»
«Wahrscheinlich», sagte Thomas. «Die Kirche kann sehr hartnäckig sein, wenn es darum geht, Leute zu verbrennen.»
«Dann kann sie nicht hierbleiben!»
«Ich habe ihr die Freiheit gegeben», sagte Thomas, «also kann sie tun, was sie will.»
«Ich könnte sie nach Pau bringen», erbot sich Robbie. Pau, ein gutes Stück westlich gelegen, war die nächste englische Garnison. «Dort wäre sie in Sicherheit. Gib mir eine Woche, ich bringe sie dorthin.»
«Ich brauche dich hier, Robbie. Wir sind nur wenige, wenn der Feind kommt, wird er in der Überzahl sein.»
«Aber ich könnte doch –»
«Sie bleibt hier», sagte Thomas bestimmt. «Es sei denn, sie möchte fort.»
Robbie sah aus, als wolle er widersprechen, dann verließ er abrupt den Raum. D’Evecque, der den Wortwechsel schweigend verfolgt hatte, zog eine ernste Miene. «Noch ein oder zwei Tage», sagte er auf Englisch, damit Geneviève ihn nicht verstand, «dann wird Robbie selbst darauf bestehen, dass sie verbrannt wird.»
«Was?» Thomas starrte ihn überrascht an. «Nein, das glaube ich nicht. Warum sollte er?»
«Er will sie», sagte d’Evecque, «und wenn er sie nicht haben kann, wird er beschließen, dass niemand sie haben soll.» Nachdenklich betrachtete er Geneviève. «Wenn sie hässlich wäre, würde sie dann noch leben?»
«Wenn sie hässlich wäre», erwiderte Thomas, «hätte man sie wahrscheinlich gar nicht verurteilt.»
D’Evecque zuckte die Achseln. Seine illegitime Tochter Eleanor war Thomas’ Frau gewesen, bis dessen Vetter, Guy Vexille, sie getötet hatte. Auch sie war eine Schönheit gewesen, genau wie Geneviève. «Du bist genauso schlimm wie der Schotte.»
In dieser Nacht, der zweiten Nacht seit der Eroberung der Burg, als die Männer, die die Gegend nach Nahrung durchstreift hatten, wieder zurück waren, als die Pferde gefüttert, das Tor verschlossen und die Wachen aufgestellt waren, als alle gegessen und die meisten sich schlafen gelegt hatten, kroch Geneviève hinter dem Wandbehang vor dem Alkoven des Kastellans hervor und gesellte sich zu Thomas, der vor dem Feuer saß und in der Abschrift der merkwürdigen Aufzeichnungen seines Vaters las. Sonst war niemand in dem großen Saal. Robbie und Guillaume d’Evecque hatten ihr Lager dort oben, genau wie Thomas, doch d’Evecque führte die Wachaufsicht, und Robbie trank und spielte mit den Soldaten unten in der Waffenkammer.
In ihrem langen weißen Kleid trat sie grazil vom Podest herunter, ging auf ihn zu und hockte sich neben seinen Sessel vor das Feuer. Sie starrte eine Weile in die Flammen, dann wandte sie sich Thomas zu, und er betrachtete staunend ihr Gesicht, auf dem Licht und Schatten des Feuers spielten. Was für ein gewöhnliches Ding, so ein Gesicht, dachte er, doch dieses faszinierte ihn.
«War es meine Schönheit, die mich gerettet hat?», fragte sie. Es waren ihre ersten Worte, seitdem er sie von ihrem Schicksal erlöst hatte.
«Nein», sagte Thomas.
«Warum hast du mich dann am Leben gelassen?»
Thomas zog den Ärmel hoch und
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