Die Bücher vom Heiligen Gral. Der Erzfeind
zeigte ihr die Narben an seinem Arm. «Das da war auch ein Dominikaner.»
«Glühendes Eisen?»
«Ja.»
Sie stand auf, legte die Arme um ihn, ließ den Kopf gegen seine Schulter sinken und hielt ihn einfach nur. Beide schwiegen und rührten sich nicht. Thomas dachte zurück an den Schmerz die Erniedrigung und die Angst, und plötzlich war ihm zum Weinen zumute.
Da öffnete sich knarzend die Tür, und jemand kam herein. Thomas saß mit dem Rücken zur Tür und konnte nicht sehen, wer es war, doch Geneviève hob den Kopf und sah den Hereingekommenen an. Einen Moment herrschte Stille, dann schloss sich die Tür wieder, und Schritte entfernten sich. Thomas wusste, dass es Robbie gewesen war. Er brauchte gar nicht zu fragen.
Geneviève legte wieder den Kopf an seine Schulter. Er spürte den Schlag ihres Herzens.
«Die Nächte sind am schlimmsten», sagte sie nach einer Weile.
«Ich weiß.»
«Tagsüber gibt es Dinge anzuschauen. Aber in der Dunkelheit kommen die Erinnerungen.»
«Ich weiß.»
Sie hob den Kopf, verschränkte die Hände in seinem Nacken und sah ihn voller Ernst an. «Ich hasse ihn», sagte sie, und Thomas wusste, dass sie von ihrem Folterer sprach. «Er heißt Vater Roubert, und ich will, dass seine Seele in der Hölle schmort.»
Thomas, der seinen Folterer getötet hatte, wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, und sagte ausweichend: «Gott wird sich um seine Seele kümmern.»
«Gott scheint mir manchmal sehr weit weg zu sein», sagte Geneviève. «Vor allem in der Dunkelheit.»
«Du musst etwas essen, und du musst schlafen.»
«Ich kann nicht schlafen.»
«Doch, das kannst du.» Thomas nahm ihre Hände von seinem Hals und führte sie zurück zum Alkoven. Er blieb dort.
Am nächsten Morgen sprach Robbie kein Wort mit Thomas, doch ihr Zerwürfnis fiel nicht weiter auf, da es so viel zu tun gab. Nahrungsmittel mussten in der Stadt beschlagnahmt und zur Burg gebracht werden. Jemand musste dem Schmied zeigen, wie die englischen Pfeilspitzen hergestellt wurden, Pappel- und Eschenzweige mussten geschnitten werden, um daraus die Schäfte zu machen, und Gänsen wurden die Flügelfedern gerupft, um die Pfeile damit zu bestücken. All dies hielt Thomas’ Männer beschäftigt, aber es herrschte eine angespannte Atmosphäre. Der Jubel über die leichte Eroberung der Burg war einer nagenden Unruhe gewichen, und Thomas, der zum ersten Mal den Befehl führte, erkannte, dass er sich in eine schwierige Lage gebracht hatte.
Guillaume d’Evecque, der um einiges älter war als Thomas, sprach es offen aus. «Es geht um das Mädchen», sagte er. «Sie muss sterben.»
Sie waren wieder in dem großen Saal, und Geneviève, die beim Feuer saß, verstand, worum es ging. Robbie stand ebenfalls dabei, doch jetzt betrachtete er Geneviève nicht mehr voll Verlangen, sondern voll Hass.
«Sagt mir, warum», entgegnete Thomas. Er hatte erneut in dem Buch seines Vaters gelesen, in dem sich so viele merkwürdige Hinweise auf den Gral befanden. Es war sehr hastig kopiert worden, sodass einige Stellen kaum zu entziffern waren, und selbst die lesbaren Abschnitte ergaben keinen Sinn, doch Thomas glaubte, wenn er nur lange genug darin las, würde sich ihm vielleicht die Bedeutung des Ganzen erschließen.
«Sie ist eine Ketzerin!», sagte d’Evecque.
«Sie ist eine gottverdammte Hexe», stieß Robbie heftig aus.
«Sie ist nicht der Hexerei beschuldigt worden», wandte Thomas ein.
«Gütiger Jesus, Mann! Sie hat Magie angewandt!»
Thomas legte das Buch beiseite. «Mir ist aufgefallen, dass du auf Holz klopfst, wenn du besorgt bist. Warum?»
Robbie starrte ihn an. «Das tun wir doch alle!»
«Hat dir je ein Priester gesagt, dass du das tun sollst?»
«Nein. Ich tue es einfach, wie alle Leute.»
«Warum?»
Robbie sah ihn wütend an, brachte schließlich jedoch eine Antwort hervor. «Um das Böse abzuwenden. Warum sonst?»
«Trotzdem steht nirgendwo in der Bibel oder in den Schriften der Kirchenväter ein Hinweis darauf. Es ist nichts Christliches, und dennoch tust du es. Muss ich dich deshalb zum Bischof schicken, damit ein Tribunal abgehalten wird? Oder soll ich dem Bischof die Mühe ersparen und dich gleich verbrennen?»
«Was soll der Unsinn?», fauchte Robbie.
D’Evecque bedeutete Robbie, still zu sein. «Sie ist eine Ketzerin», wiederholte der Normanne. «Die Kirche hat sie verurteilt, und wenn sie hierbleibt, bringt sie uns nur Unglück. Bei allen Heiligen, Thomas, was kann denn Gutes dabei
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