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Die Bücher von Umber, Band 3: Das Ende der Zeit

Die Bücher von Umber, Band 3: Das Ende der Zeit

Titel: Die Bücher von Umber, Band 3: Das Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: P. W. Catanese
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näher an die Wurzel heran.
    Â»Dornen.« Er zeigte auf die Stelle, an der Oates angefasst hatte. »Aber nur hier.«
    Â»Die waren eben noch nicht da«, bemerkte Oates.
    Â»Nein, das stimmt«, meinte Umber. Seine Augen glänzten vor Neugier und Eifer. »Sie verteidigt sich! Aber es geht dir doch gut, oder?«
    Oates presste seine Lippen auf die Wunden. Seine Antwort kam gedämpft. »Es tut weh.«
    Mit der feierlichen Langsamkeit einer Schnecke bog sich die Wurzel wieder zu dem Kübel hin, in dem der Vielfruchtbaum stand. Ihre Spitze drang in die Erde ein.
    Â»Dann eben mit der Axt«, beschloss Umber mit einem Hauch von Unsicherheit.
    Â»Mit Vergnügen!«, gab Oates zurück. Er hob die Axt auf und hielt sie über jenen Teil der Wurzel, der flach über den Terrassenboden lief. Umber schaute mit gefalteten Händen und gegeneinandertippenden Daumen konzentriert zu. Hap spürte, wie Balfours Hand an seiner Schulter zog, und war froh, einen Schritt zurücktreten zu können. Er wusste nicht, was er erwarten sollte, hatte aber trotzdem ein flaues Gefühl im Magen.
    Oates schlug blitzschnell mit der Axt zu, die tief eindrang und die Wurzel fast durchtrennte. Als Oates das Blatt der Axt wieder herauszog, kochte eine Flüssigkeit aus der Wurzel hoch – dickflüssig, glänzend gelb und lila, wie giftiger Eiter. Kurz darauf drang ein stechender Gestank in Haps Nase. Oates roch ihn auch und schrie angeekelt: »Igitt!«
    Umber zog sich seinen Hemdkragen über die Nase und sah zu, was weiter passierte. Die verletzte Wurzel erhob sich langsam vom Boden und schwebte in Hüfthöhe, während das nahezu abgeschlagene Ende herunterhing. Umbers Blick wanderte an der Wurzel entlang zurück zum Stamm. Ihm stand der Mund offen.
    Der gesamte Baum zitterte. Der Stamm entwand sich ein klein wenig und zog sich dann wieder zusammen. Die Rinde quietschte und die Äste bebten.
    Ein kräftiger Wind fegte über die Terrasse. Hap hörte ein Rauschen, und ihm wurde klar, dass es Regen war, der weit unterhalb auf die Bucht von Kurahaven niederging. Wenige Augenblicke später erreichte das Unwetter die Terrasse. Ein paar dicke Regentropfen gingen in einen Wolkenbruch über. Die Flut übte auf den Dornenbaum eine beruhigende Wirkung aus. Der Stamm hörte auf, sich zu winden, und die Äste bewegten sich nicht mehr. Die verletzte Wurzel sackte zu Boden und rührte sich nicht.
    Obwohl der Regen ihre Kleider durchnässte, regte sich niemand. Hap merkte, wie ihm Tropfen von der Nasenspitze rannen. Umber drehte sich breit grinsend um und zeigte mit dem Daumen über seine Schulter. »Also das war ja interessant. Aber jetzt ist das Schauspiel erst einmal vorbei, wie es scheint.«
    Hap schüttelte den Kopf und zeigte mit dem Finger auf den nächstgelegenen waagerechten Ast. Kurz vor dessen Ende hatte sich ein faustgroßer Wulst gebildet, der aus der glatten Rinde herausragte. Er platzte auf, und binnen einer Minute entfaltete sich eine Blüte. Die Blütenblätter hatten die Farbe von Blutergüssen, ihre Ränder erinnerten an zerrissenes Papier und in ihrer Mitte befand sich etwas, das wie ein Klumpen toter Würmer aussah.
    Â»Das«, kommentierte Oates, »ist die hässlichste Blume, die ich je gesehen habe.«
    Umber stellte sich auf die Zehenspitzen und schnupperte an der Blüte. »Besonders gut riechen tut sie auch nicht«, berichtete er. Hap drehte sich der Magen um, als der Geruch bei ihm ankam. Bemerkenswerterweise roch Umber jedoch ein zweites Mal daran. »Riecht faulig.«
    An anderen Ästen erschienen weitere Blüten. Der Regen nahm zu und prasselte auf den Boden. Der Wind pfiff um die steinernen Ecken und Kanten der Terrasse. Über all diesem Lärm vernahm Hap schwach ein anderes Geräusch und lauschte in Richtung Stadt. Er hob die Hand. »Hört mal!«, rief er.
    Eine Glocke läutete. Es war die große Glocke im Turm des Palastes, die größte Glocke mit dem tiefsten, feierlichsten Ton. Sie läutete langsam; es vergingen Sekunden, bevor sie erneut schlug und dann wieder zu einem düsteren Brummen verebbte. Umber vergaß den Dornenbaum und seine fauligen Blüten. Wie ein Geist ging er die Terrasse entlang. Mit versteinertem Gesicht – wenn er nicht gerade Regentropfen fortzwinkerte – stand er am Geländer und starrte in Richtung Palast. In den Häusern der Stadt

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