Die Buecherfluesterin
Handbewegung. » Mach dir keine Sorgen um mich. Werde lieber gesund.«
Als Dad den Wagen anlässt, steigt eine Abgaswolke aus dem Auspuff auf. » Wir müssen los.«
» Ich rufe dich an«, verspricht meine Tante.
Die Arme vor der Brust verschränkt trete ich zurück auf den Gehweg, während Dad losfährt. Meine Familie verschwindet um die Ecke, und ich bin plötzlich mit dem Buchladen, dem Regen und dem aufziehenden Unwetter allein.
Ich stecke bis über beide Ohren drin in der Sache.
Kapitel 10
Z
urück im chaotischen Büro der Tante mache ich mich über die Papierstapel auf ihrem Schreibtisch her. Es wimmelt von unbezahlten und nicht verschickten Rechnungen. Da sie ihren Laden seit Jahren ohne Schwierigkeiten geführt hat, muss es an ihrer Krankheit liegen. Vielleicht hat ja auch die Wirtschaftsflaute ihren Tribut gefordert.
Tony trifft ein, nickt mir beiläufig zu und hört den Anrufbeantworter ab. Heute trägt er die verschiedenen Farbschattierungen des Abends– ein dunkles Türkis, Schwarz und Grau– und trinkt Espresso aus einem Pappbecher vom Fairport Café. Während er den Nachrichten der Kunden lauscht, macht er sich Notizen. Dann dreht er sich kopfschüttelnd um und stemmt die Arme in die Hüften. » Ich habe versucht, hier Ordnung zu schaffen. Hoffnungslos. Keine Chance.«
Ich schwenke eine Stromrechnung. » Soll ich die Dinger bezahlen? Hat sie ein Scheckbuch?«
Tony reißt mir die Rechnung aus der Hand. » Mädchen, damit musst du dich nicht beschäftigen. Ich erledige das. Sie hat mich darum gebeten.«
» Und was soll ich dann tun?«
Tony vollführt eine ausladende Armbewegung. » Kümmere dich um den Laden. Geh nach vorne.«
» Aber es ist niemand da. Mit Zahlen kenne ich mich besser aus. Ich könnte System in ihre Buchhaltung bringen. Bestimmt gibt es hier noch mehr unbezahlte und offene Rechnungen…«
» Und außerdem einen Buchladen, der geführt werden will. Ich zeige dir alles. Komm mit.«
Widerstrebend folge ich ihm auf den Flur und verbringe die nächste Stunde damit, zusammen mit ihm Bücherkartons auszupacken, die Regale zu bestücken und umzudekorieren.
» Stell das nicht nach vorne«, weist er mich an und nimmt Sieh dich nicht um, einen im Hardcover erschienen Thriller, vom Wohnzimmerfensterbrett.
» Aber der ist gerade erst rausgekommen. Ich habe ihn am Flughafen gesehen. Habt ihr nicht noch mehr Exemplare da?«
» Wir sind hier keine Buchhandelskette«, protestiert er und zückt einen alten Kriminalroman mit abgewetztem Einband. » Wir bieten eine Alternative, andere Möglichkeiten.«
» Super. Da du offenbar genau weißt, wie man mit einem Buchladen astronomische Gewinne erwirtschaftet, überlasse ich dich deinem Schicksal. Ich habe Besseres zu tun.«
» Das hast du sicher.«
Ich krame einen Besen und einen Staubwedel aus dem Wandschrank im Flur und fange an, den Schmutz zu bekämpfen. Tony kommt lachend aus dem Antiquariat. » Du glaubst doch nicht etwa, dass das etwas nützt?«
» Ein sauberer Laden ist ein profitabler Laden.« Ich versuche, das Fenster zu öffnen, doch der Riegel ist überstrichen.
Tony schüttelt weiter den Kopf. » Du kapierst es wohl wirklich nicht. Dieser Laden ist etwas Besonderes. Du kannst ihm nicht deinen Willen aufzwingen.«
» Ich kann erzwingen, was ich will.« Wieder zerre ich am Fenster. Fehlanzeige. » Hat meine Tante irgendwo Werkzeug? Einen Schraubenzieher oder so, damit ich das Fenster aufhebeln kann?«
Ein Knacken durchschneidet die Luft. Das Fenster öffnet sich ein paar Zentimeter und lässt einen Schwall Frischluft herein.
» Bitte sehr«, sagt Tony und reibt die Handflächen aneinander. » Hier hast du deine Luft.«
» Wie ist denn das auf einmal passiert? Offenbar ist etwas mit dem Riegel nicht in Ordnung.«
» Ja, das muss es sein.« Kopfschüttelnd geht er davon. » Luft sagt sie. Ein sauberer Laden ist ein profitabler Laden.«
Mit der Zeit sehen die Räume einigermaßen ordentlich und weniger zugerümpelt aus, doch ganz gleich, wie sehr ich mich auch ins Zeug lege, die Arbeit scheint nicht weniger zu werden.
Im Laufe des Vormittags schauen immer wieder Kunden herein. Einige Leute holen bestellte Bücher ab.
» Meine Tante sollte ihr Angebot erweitern«, verkünde ich, während ich das verschnörkelte Kaminsims aus Keramik in der Kinderbuchabteilung schrubbe. Tony stellt gerade einige Bilderbücher ins Regal. » Sie sollte Seife, Kerzen, Handtaschen und billige aktuelle Taschenbücher verkaufen, wie man sie auch
Weitere Kostenlose Bücher