Die Buecherfluesterin
Lucia mit den Fingern die Bücher entlangfährt, flattern ihre rot lackierten Nägel über die Buchrücken wie riesige Marienkäfer.
» Ich kann mich weder an den Titel noch an den Autor erinnern.« Ein seltsamer Ausdruck huscht über ihr Gesicht, und für einen Moment malt sich Todesangst darin.
» Könnten Sie vielleicht etwas genauer sein?« Ich betrachte das unendliche Meer von Unterrubriken: Diät, Diabetikerkost, vegetarisch, chinesisch, indisch, schnelle Küche, anspruchsvolle Gerichte. Zwischen den neuen Büchern klemmen die Seiten zum Sammeln– Betty Crocker, Pillsbury, True Grit. » Mit welchem Buchstaben fing der Name des Autors denn an? Dann könnten wir das Buch im Computer suchen.«
» Computer?« Sie starrt mich fassungslos an, als höre sie das Wort zum ersten Mal.
» Handelt es sich um ethnische Küche?«
Sie fuchtelt mit den Händen. » Ja, kalifornisch!«
Die Kalifornier sind kein eigener Volksstamm. » Und welche Richtung genau?«
» Wundervolle Rezepte von der Küste.«
» Gut, dann also eine Küstenstadt– Los Angeles, San Francisco.«
» Nein, die Ostküste.«
» Die Ostküste der Vereinigten Staaten?«
» Nein, von Kalifornien.«
» Die Ostküste von Kalifornien ist Nevada.« Ich bemühe mich um einen freundlichen, hilfsbereiten Ton.
» Das Buch war groß und irgendwie viereckig. Vorne war ein Gericht abgebildet. Eine Schale mit Curry vielleicht? Der Einband war, glaube ich, hellgrün. Bunt. Oder war es Reis? Nudeln? Jedenfalls war es ausgesprochen appetitlich und lecker angerichtet.«
Ich zeige ihr verschiedene Bücher, aber sie schüttelt nur immer wieder den Kopf. Der Knoten in meinem Nacken verhärtet sich, und eine schrille, überdrehte Stimme durchschneidet die Luft: Alles ist so wunderhübsch auf einem Teller ausgebreitet, da hat jemand unendlich viel Arbeit reingesteckt. Gleichzeitig weht der Duft von Muffins herein. Vermutlich kommt er von der Bäckerei ein paar Häuser weiter.
Lucia redet wie ein Wasserfall. Kopfschmerzen breiten sich hinter meiner Stirn aus. Ich interessiere mich nicht für Kochbücher. Reis und Nudeln sind mir ebenso piepegal, wie die Aufgabe, genau das Buch zu finden, das sie in Kalifornien entdeckt hat.
Lucia Peleran und meine perfekte und glückliche Schwester sollten sich treffen, um das Menü für die Hochzeit zu erörtern. Ich halte das keine Minute länger aus.
» Aufhören!«, unterbreche ich ihren Monolog.
Sie erstarrt, und der Mund bleibt ihr offen stehen.
Ich nehme ein Buch aus dem Regal. Dann noch eines und noch eines. Und werfe sie auf den Tisch, bis ein paar hohe Stapel entstehen. » Hier sind Kochbücher. Dutzende. Hunderte. Suchen Sie sich einfach eins aus und entscheiden Sie sich endlich.«
Lucia glotzt mich an, macht den Mund auf und zu wie in Zeitlupe und blinzelt mit den Augen. Dann beäugt sie mich argwöhnisch. » Na ja«, sagt sie, » eine Scheidung kann einem ganz schön aufs Gemüt schlagen.« Als sie sich ein Buch herauszieht, fällt der ganze Stapel in sich zusammen.
Kapitel 11
W
ieder jemanden vergrault?«, fragt Tony, nachdem Lucia empört hinausstolziert ist.
» Sehr witzig.« Ich stelle die Kochbücher einzeln zurück ins Regal. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist. » Wir müssen die ältesten Bücher loswerden. Vielleicht wohltätigen Zwecken spenden…«
» Wehe dir.« Tony reißt mir Nudeln satt aus der Hand. » Deine Tante würde einen Anfall kriegen. Die alten Bücher verleihen diesem Laden erst seine Atmosphäre.«
» Dann leiden wir hier offenbar an einer Atmosphären-Überdosis. Man kann sich kaum noch rühren.«
Tony drückt sich Nudeln satt vor die Brust, als ob sein Überleben von diesem eselsohrigen Taschenbuch abhinge. » Warum, glaubst du, hat deine Tante dich hergeholt? Sicher nicht, um ihre Bestände auszudünnen.«
» Ich habe ein Händchen für Zahlen und bin sehr geschäftstüchtig. Sie wusste, dass ich den Laden auf Vordermann bringen würde. Wir müssen Kochbücher von der Bestsellerliste bestellen und mehr Licht machen. Das ist ja hier finster wie in einer Höhle.«
» Du hast dieses Buch falsch einsortiert.« Tony zieht einen Hardcover-Band aus dem Regal und steckt ihn in ein anderes. » Wir ordnen die Bücher nach Themen und innerhalb der Themen nach Autoren.«
» Egal, Tony. Es schaut doch sowieso niemand hin.«
» Ruma hätte den Laden auch mir überlassen können. Ich wäre ohne dich bestens klargekommen. Inzwischen hast du schon zwei Kunden vertrieben.«
» Ich habe
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