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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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an. » Warum?«
    » Du hast es deiner Tante versprochen.«
    » Ist es denn wirklich so wichtig?«
    Er zögert und schüttelt ungläubig den Kopf. » Du darfst dieses Haus nachts nicht allein lassen.«
    » Tja, der arme alte Kasten wird es wohl einige Nächte ohne Gesellschaft aushalten müssen. Schließlich ist er volljährig.«
    Tony lacht. » Mach, was du willst.« Er verschwindet, ohne dem etwas hinzuzufügen.

Kapitel 12

    A
ls ich bei meinen Eltern ankomme, ist Gita schon nach Seattle zurückgekehrt. Ma rauscht in einen blauen Seidensari und eine Wolke von Joy-Parfüm gehüllt durchs Haus. Mit einem Kleidungswechsel und einem schwarzen Kajalrand um die Augen hat sie sich von einer Amerikanerin in eine Bengalin verwandelt.
    » Wie war es bei deiner Arbeit?« Sie betrachtet sich im Flurspiegel, dreht den Kopf hin und her, dass ihr Schmuck aufblitzt, und streicht sich über das kurze Haar.
    » Phantastisch«, lüge ich und gähne. Ich lasse meine Handtasche im Flur auf den Boden fallen. » Die Tante denkt, dass ich im Laden übernachte. Sie glaubt, das Haus würde sonst schlechte Laune kriegen.«
    » Das Haus wird den Unterschied nicht bemerken.« Ma schenkt mir ein strahlendes Lächeln, das vom Funkeln ihrer silbernen Ohrringe verstärkt wird. » Die Mauliks haben gehört, dass du in der Stadt bist, und haben uns alle heute Abend zum Essen eingeladen.«
    » Ach, so kurzfristig.« Mir wird ganz flau. Aus dieser Sache komme ich nicht raus. Die Mauliks sind alte Freunde der Familie, die sich auf das Drängen meiner Eltern hin auf der Insel zur Ruhe gesetzt haben. Benoy Maulik, so etwas wie ein Onkel für mich, hat in Indien zusammen mit meinem Vater studiert.
    » Du brauchst dich nicht feinzumachen«, sagt Ma und streicht sich über das Haar. » Geh einfach so hin, wie du bist.«
    Ich betrachte meine Jeans und die Turnschuhe. Das ist doch sicher nicht ihr Ernst. Selbst Dad hat sich in Schale geworfen, trägt ein Seidenhemd und eine Stoffhose und duftet nach einem würzigen Rasierwasser. » Unmöglich. Ich muss mich umziehen.« Moment mal– habe ich die Einladung gerade angenommen? Offensichtlich.
    » Dann beeil dich. Wir fahren in zehn Minuten.«
    Zehn Minuten! » Warum habt ihr mich nicht vorgewarnt? Ich bin müde, ich glaube, ich bleibe lieber zu Hause.«
    Ma schiebt mich in Richtung Treppe. » Was soll ich denn den Mauliks sagen? Nach so langer Zeit? Sie erwarten dich.«
    Zehn Minuten später bin ich, in Paisleybluse und Rock, abmarschbereit. Ich bin wieder ein Kind und sitze hinten im Auto meiner Eltern, auf dem Weg zu einer Einladung bei indischen Freunden. Meine Eltern haben Gita und mich stets ins Fernsehzimmer zu den anderen rotznasigen Bälgern abgeschoben. Gita schien das nicht zu stören. Sie ist fünf Jahre jünger als ich und hat gerne mit den Kleinen gespielt.
    » Ist Charus Hüfte schon verheilt?«, will Ma von Dad wissen. Sie meint Onkel Benoys Frau.
    » Offenbar arbeitet sie wieder. Sie übersetzt im Auftrag der Universität Texte aus dem Hindi.«
    » Will sie immer noch einen Roman schreiben?«
    » Sie sitzt schon seit Jahren an diesem Buch«, antwortet Dad lachend.
    » Benoy geht es seit der Bypass-Operation besser«, stellt Ma fest.
    » Er sieht ziemlich abgekämpft aus«, wendet Dad ein.
    » Sie sehen beide abgekämpft aus«, meint Ma.
    » Er übernimmt sich. Ständig ein neues Renovierungsprojekt.«
    » Warum tritt er nicht etwas langsamer?«, fragt Ma und überprüft im Spiegel ihren Lidstrich. » Sonst kriegt er noch einen zweiten Herzinfarkt.«
    Das Gerede meiner Eltern verpestet die Luft wie giftiger Rauch. Ich öffne das Fenster und atme den frischen Duft von Zedern und Pinien ein. Es ist schon Jahre her, dass ich vom Rücksitz aus mitanhören musste, wie Ma und Dad über andere Leute hergezogen sind, die nicht anwesend waren, um sich verteidigen zu können. Sprechen meine Eltern in meiner Abwesenheit auch so über mich? Ach, Jasmine? … sie hat ihre Ehe an die Wand gefahren. Jetzt wird sie als alte Jungfer enden.
    » Offenbar haben die Mauliks eine Menge Pech gehabt«, sage ich, um der Lästerei ein wenig Verständnis entgegenzusetzen. » Habt Nachsicht mit ihnen.«
    Meine Eltern schweigen. Dad biegt in eine gepflegte, nach Wohlstand riechende Straße ein und parkt am Randstein. Vor dem Haus der Mauliks– einem zweistöckigen verputzten und von üppigen Rhododendren und Fichten umgebenen Gebäude, stehen einige Autos.
    Ich erkenne die Frau, die die Tür öffnet, kaum wieder. Ihr

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