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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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niemanden vertrieben. Lucia wusste nicht, was sie wollte.«
    Tony tippt mir an die Stirn. » Es ist deine Aufgabe, das herauszufinden.«
    » Ich habe es versucht.«
    » Ruma kann Dinge bei Menschen erahnen und erspüren. Ihre Wünsche. Sie hat so etwas wie das dritte Auge.«
    » Das ist doch lächerlich.« Ich bewege meine Finger wie eine Zauberkünstlerin. » Drittes Auge, so ein Schwachsinn.«
    » Zu dieser Arbeit gehört mehr als Logik. Es ist nicht dasselbe, wie irgendeinem Kunden die Börsenkurse herunterzubeten.«
    » Der Kunde will ein Buch, und man gibt es ihm. Man findet heraus, was er will.«
    » Manchmal wissen die Leute aber nicht, was sie wollen. Geduld, Anteilnahme, Herzenswärme, Einfühlungsvermögen. Das sind die Eigenschaften, die hier gefragt sind.«
    » Was hier gefragt ist, sind breitere Gänge und bequemere Sessel.«
    » Die Sessel sind in Ordnung.« Tony klemmt sich das Nudelbuch unter den Arm. » Hast du dich überhaupt gefragt, warum Lucia nach Kalifornien geflogen ist? Sicher nicht zu ihrem Vergnügen, sonst würde sie sich an den Titel des Kochbuchs erinnern. Sie war gedanklich überhaupt nicht bei der Sache. Ihre Mutter besaß in Kalifornien nämlich ein Haus und war damit völlig überfordert, weil sie an irgendeiner Form von Demenz leidet. Darauf hättest du sie ansprechen können.«
    » Ich bin weder Hellseherin noch Psychotherapeutin.«
    » Das verlangt auch keiner von dir.« Tony folgt mir in die Abteilung Klassiker.
    » Schau, das mit Lucias Mutter tut mir wirklich leid. Es ist traurig. Aber ich bin nicht hier, um ihr Privatleben zu erforschen.«
    » Das musst du auch nicht. Du solltest dich nur dafür interessieren. Ein Buch ist keine gewöhnliche Ware. Bücher enthalten unsere Kultur, unsere Vergangenheit, andere Welten und das Mittel gegen Traurigkeit.«
    » Wenn das so wäre, würde die Menschheit die Buchhandlungen stürmen.«
    » Vielleicht wäre das ja die Lösung.«
    » Ich komme prima ohne Bücher zurecht… schon seit Jahren. Ich habe keine Zeit mehr zum Lesen.«
    » Dann solltest du dir die Zeit vielleicht nehmen.«
    » Ich war beschäftigt…«
    » Also hast du auch jemanden verloren. Das steht dir ins Gesicht geschrieben. Werde ein bisschen menschlicher. Du brauchst nur ein wenig Empathie.«
    » Ich habe Empathie.« Was steht mir ins Gesicht geschrieben? Da gibt es nichts zu sehen.
    Er drückt mir eine zerfledderte Taschenbuchausgabe von Stolz und Vorurteil in die Hand. » Dann setz deine Empathie am Mittwochabend im Literaturzirkel ein. Sonst leitet Ruma nämlich diese Treffen.«
    » Ich habe keine Ahnung, wie man einen Literaturzirkel leitet.«
    » Die Versammlungen finden in der Teeküche statt.«
    » Aber…«
    » Willst du deine Tante enttäuschen?«
    » Ich weigere mich, das zu lesen.« Ich lege das Buch auf den Tisch.
    Er seufzt. » Wie du willst. Morgen früh kommt Gertrude Gertler und signiert Pyjamas und Wuschelpfoten.«
    » Wuschelpfoten …?«
    » Gertrude ist ein bisschen exzentrisch.« Er zeigt mir einen schmalen, in schmeichelnden Pastelltönen gehaltenen Hardcover-Band mit Bildern. Plüschbären im Pyjama.
    » Was meinst du mit exzentrisch?«
    » Ach, du weißt schon.« Er schiebt mich in den Salon. » Du musst nur dafür sorgen, dass es hier ordentlich aussieht und dass sie an diesem Tisch sitzen kann. Blauer Markierstift. Rosafarbene Post-it-Zettel.«
    » Rosafarbene Post-it-Zettel?«
    » Notier dir den Namen von jedem, der ein signiertes Buch möchte, auf einen Zettel und gib ihn dann Gertrude, damit sie sich nicht verschreibt.«
    » Haben wir rosafarbene da?«
    Tony schaut auf die Uhr. » Nein, und der Schreibwarenladen hat schon zu. Also muss blau genügen.«
    » Kommst du morgen und kümmerst dich um alles?«
    » Ich beeile mich. Ich muss die Fähre nehmen, schon vergessen?«
    Ich helfe ihm, einige Exemplare von Pyjamas und Wuschelpfoten, zusammen mit anderen Titeln von Gertrude Gertler, auf Tischen zu drapieren.
    » Haben wir noch mehr Ausgaben da?«, frage ich. » Ich habe nur sechs Wuschelpfoten gezählt, und die liegen schon alle hier.«
    » Weil deine Tante es eilig hatte, wurden die Bücher erst in letzter Minute bestellt, und die Lieferung hat sich verspätet. Aber morgen früh kommen sie per Kurier.«
    » Morgen früh. Bist du sicher?«
    » Fast hundertprozentig.« Tony schnappt sich seinen Mantel. Auf dem Weg nach draußen bleibt er, die Hand am Türknauf, stehen. » Du übernachtest doch heute hier, oder?«
    Ich ziehe ebenfalls den Mantel

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