Die Buecherfluesterin
Vaters, als er sich in den Garten der McGregors einschleicht, um sich den Bauch mit Gemüse vollzuschlagen.
Beim Lesen ziehe ich die Kostüme an und schlüpfe in die verschiedenen Rollen. Ein Teil von mir sieht von außen zu. Eigentlich sollte ich mir dumm oder peinlich vorkommen, aber die Häschenohren passen ausgezeichnet, und je mehr ich schauspielere, desto lauter lachen die Kinder. Als ich schließlich auch noch im Zimmer herumhüpfe, brüllen sie vor Lachen. Und Vishnus Augen verändern sich, bis ein träumerisches Leuchten in ihnen sichtbar wird. Ich bin ein neuer Mensch, jemand, der ich nie gewesen bin. Oder vielleicht jemand, der ich schon immer war?
Kapitel 22
N
ach dem Vorlesen bedanken sich die Eltern bei mir. » So lange sitzen sie sonst nie still«, sagt eine Mutter. » Sie haben Talent.«
» Das liegt nur an der Übung. Ich muss beruflich Präsentationen halten«, erwidere ich.
» Ich verstehe.« Sie sieht mich merkwürdig an.
Die Familien verabschieden sich, bis schließlich nur noch Vishnu zurückbleibt, der in der Kinderabteilung ruhig in einem Buch liest. Mohan erscheint eine halbe Stunde später. » Entschuldige, die Sprechstunde hat länger gedauert.«
» Baba«, ruft Vishnu und zerrt an seiner Hand. » Sie hat Peter Rabbit vorgelesen. Es war furchtbar lustig.«
» Ach ja?« Er lächelt mir zu und flüstert danke, bevor er Vishnu hinaus zum Auto scheucht.
Ich bringe die Requisiten und die Bücher zurück in die Kinderbuchabteilung. Ich habe das seltsame Gefühl, etwas geleistet zu haben. Und dabei habe ich nichts weiter getan, als herumzuhüpfen und kleinen Kindern etwas vorzulesen. Ich habe weder Hoffmann als Kunden an Land gezogen noch irgendeine andere Heldentat vollbracht.
» Sie haben sehr hübsch gelesen«, sagt da eine zarte Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehe, stehe ich vor einer älteren Frau. Sie trägt ein altmodisches Kleid und einen schwarzen Hut und hat eine flauschige weiße Katze im Arm.
» Ich habe Sie gar nicht hereinkommen hören«, erwidere ich. Mir steigen der Geruch von Erde, sauberer Luft und ein süßer Blumenduft in die Nase.
» Ich war die ganze Zeit hier.« Sie streichelt die schnurrende Katze. » Meine Tiere sind meine Begleiter. Ich liebe sie alle– Hunde, Katzen und Eichhörnchen. Ich habe zehn Hektar für die Tierwelt reserviert. Und natürlich für meine Herwick-Schafe. Inzwischen sind es fünfundzwanzigtausend Stück.«
» Wer sind Sie?« Sie kommt mir seltsam bekannt vor.
Sie nimmt eine Biographie aus dem Regal und zeigt mir das Foto hinten auf dem Einband.
» Sieht aus wie Sie in jüngeren Jahren«, stelle ich fest.
» Ich würde gern jünger wirken, aber ich bin alt geworden. Nun ja.«
» Aber Sie können unmöglich Beatrix Potter sein. Sind Sie eine Verwandte oder Nachfahrin?«
» Ich bin Beatrix.« Als sie die Katze auf den Boden setzt, huscht das flauschige weiße Geschöpf zum Regal und verschwindet um die Ecke.
» Jetzt aber genug mit den Spielchen«, sage ich. » Hat Tony Sie dazu angestiftet?«
Sie greift nach meiner Hand. Ihre Finger sind warm und kräftig. » Den Kindern hat das Vorlesen sehr gut gefallen.«
Ich mache mich los und weiche in Richtung Tür zurück. » Das freut mich. Ich musste Vishnu zum Lächeln bringen. Seine Mom kommt bald zurück, dann kehrt in seinem Leben wieder der Alltag ein.«
» Der Alltag wird nie wieder ins Leben einkehren. Nicht, nachdem Sie sich die Hasenöhrchen aufgesetzt haben.« Beatrix schmunzelt. Spricht Sie über mich oder über Vishnu?«
» Jasmine!«, ruft Tony vom Flur her. Er steckt den Kopf zur Tür herein. » Da bist du ja.« Auf die Frau in den altmodischen Kleidern achtet er überhaupt nicht. » Ruma ist am Telefon!«
Als ich mich umdrehe, ist die Frau fort.
Ich laufe los, um den Anruf anzunehmen.
Meine Tante klingt weit entfernt, scheint aber in Hochstimmung zu sein. » Meine Lieblingsnichte!«
» Wie geht es dir? Wo bist du?« Ich ziehe mich mit dem Telefon auf den Flur zurück, um ungestört reden zu können. » Was ist mit deinem Herzen? Warst du beim Arzt?«
» Mach dir keine Sorgen um mich. Wie läuft es im Buchladen? Wie gefällt es dir in meiner wundervollen Wohnung?«
» Ach, Tante, warum hast du mir nicht von den seltsamen Dingen erzählt, die hier passieren?« Das Telefon am Ohr, laufe ich auf und ab. » Und warum hast du deine Rechnungen nicht bezahlt?«
» Hilft Tony dir nicht? In diesem Fall müsste ich mal mit ihm reden. Moment.« Aus dem Hörer hallen das
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