Die Buecherfluesterin
Gellen einer Hupe und eine Männerstimme, die auf Bengalisch schimpft.
» Tante, warum glaubst du, dass ich die Einzige bin, die sich während deiner Abwesenheit um den Laden kümmern kann?«
» Weil es eben so ist.« Meine Tante hält die Hand über die Sprechmuschel und ruft eine Rikscha herbei. Dann ist sie wieder am Apparat. »Ich muss los. Folge deinem Herzen. Wir alle sind Teil von etwas, das größer ist als wir. Ach, herrje, wir müssen den Zug nach Agra erwischen. Wir machen eine Besichtigungsreise.«
» Wir? Wer ist denn sonst noch dabei?«
» Wir besuchen das Tadsch Mahal. Ich war seit Jahren nicht mehr dort!«
Die Verbindung bricht ab. » Verdammt!« Ich knalle den Hörer hin.
» Du hast schon immer gern geflucht«, sagt da eine vertraute Stimme hinter mir.
Robert.
Mein Körper, dieser Verräter, reagiert aus reiner Gewohnheit auf ihn und den sanften Klang seiner Stimme. » Was zum Teufel tust du hier? Wie hast du mich gefunden?«
Kapitel 23
H
ast du meine Nachricht nicht gekriegt?« Robert kommt auf mich zu. Er trägt einen schwarzen Regenmantel. Ein sorgfältiger Gott hat seine Gesichtszüge absolut ebenmäßig angeordnet. Einzige Ausnahme ist die Kerbe auf seiner Nase dicht oberhalb des Nasenrückens, die er sich bei einem Sturz zugezogen hat, weil er über eine Wurzel gestolpert ist, als er Mitglied der Leichtathletikmannschaft seiner Highschool war. Er hat noch immer die Figur eines Läufers und diesen federnden Gang, als wollte er jeden Moment durchstarten.
» Der Empfang hier ist miserabel.« Ich brauche dringend eine Papiertüte. Sonst fange ich an zu hyperventilieren. Oder zu kotzen. Ich bin noch unentschieden.
» Du warst nicht leicht aufzuspüren, aber Scott Taylor hat mir den nötigen Tipp gegeben. Ich muss mit dir reden.« Seine Augen, eine Mischung aus Haselnussbraun und Grau, haben schon immer trügerisch harmlos dreingeblickt. Ich bin gespannt, wann Lauren seinen wahren Charakter entlarven wird.
» Ich habe zu arbeiten«, entgegne ich. » Wende dich an meinen Anwalt.« Ich greife nach einem Bücherstapel, weiß aber nicht, was ich damit machen soll. Wo ist Tony, wenn ich ihn brauche?
» Ich würde gern persönlich mit dir reden.«
» Wo ist Lauren? Weiß sie, dass du hier bist?« Ich kann mir den zynischen Unterton nicht verkneifen, als ich ihren Namen ausspreche.
» Sie weiß es. Können wir irgendwo hingehen und reden?« Robert schaut sich um, als wolle er in dem Tohuwabohu eine freie Fläche finden.
» Dazu hattest du Monate Zeit. Ich habe nein gesagt. Ich verkaufe die Wohnung nicht zu so einem niedrigen Preis.«
» Genau darüber wollte ich mit dir reden. Die Wohnung.«
» Was gibt es da noch zu sagen? Unterhalte dich mit dem Makler.«
» Ich muss aber mit dir reden.«
Ich lege die Bücher auf einen Tisch. » Warum? Wir treffen uns nächsten Monat beim letzten Anhörungstermin.«
» Ich bin eigens hergekommen, um dich zu sehen. Kannst du nicht wenigstens höflich sein?«
Die ersten Kunden beginnen uns anzustarren. » Draußen«, flüstere ich. » Nicht hier drin.«
Einige Minuten später haste ich die Straße entlang. Der Wind weht mir das Haar ins Gesicht. Robert läuft mit hochgezogenen Schultern neben mir her. » Warum diese Hetze?«
» Lass dich nie wieder unangekündigt hier blicken. Nein, streich das. Lass dich überhaupt nicht mehr blicken.«
» Ich weiß, dass du wütend auf mich bist.«
» Der Begriff wütend beschreibt meine Gefühle nicht annähernd.«
» Ich habe versucht, dich zu erreichen, weil ich dich sehen wollte. Ist alles in Ordnung? Ich mache mir noch immer Sorgen um dich.«
» Du machst dir Sorgen um mich?« Allerdings stimmt mich das ein kleines bisschen versöhnlicher. Kurz denke ich an unsere romantischen Spaziergänge, unsere Schultern berührten sich fast, auf denen wir unseren Ruhestand, die Zukunft und gemeinsame Reisen besprochen haben.
» Du hast mir nicht gesagt, dass du verreist.«
» Ich bin dir keine Rechenschaft mehr schuldig«, entgegne ich, aber er tut mir auch ein wenig leid. Seine Nase ist von der Kälte gerötet. Im Gegensatz zu mir verträgt er ein solches Wetter nicht sehr gut.
» Können wir nicht irgendwo reingehen? Vielleicht hier?« Er betritt das Le Pichet, ein schummriges französisches Restaurant, wo eine vollbusige Kellnerin uns an einen dunklen Ecktisch führt. Einen romantischen Tisch, als wären wir noch ein Paar.
» Kann ich Ihnen etwas zu trinken bringen?«, fragt sie.
» Für mich Wasser«,
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