Die Buecherfluesterin
muss trauern und dann neue Wege finden. Das Leben ist nun einmal chaotisch. Vermutlich hört sich das sehr abgedroschen an.«
» Würdest du wieder heiraten?«, frage ich.
» Ich fange gerade ein neues Leben an und bin nicht sicher, was geschehen wird und wer ich dann sein werde. Ich werde es wissen, wenn ich angekommen bin.«
» Ich versuche das Gleiche. Aber es ist schwer. Robert und ich haben so ein angenehmes Leben geführt. Wir haben zusammen Möbel angeschafft. Wir hatten eine wundervolle Hochzeit. Unsere Familien waren dabei. Paare sollten sich nicht trennen, wenn ihre Familien sich verstehen. Alles bei uns war… so eng miteinander verwoben.«
» Du musst dich neu erfinden. Wir alle erfinden uns neu, an jedem Tag und in jeder Minute. Du schaffst das. Du kannst dich von ihm lösen.«
» Aber warum habe ich nichts bemerkt? Die Hinweise waren offensichtlich. Überstunden im Büro. Angeblich musste er Klausuren korrigieren oder hatte Besprechungen mit Studenten. Anrufe. Ausreden. Ich will mich nie wieder verlieben. Es tut so weh.«
» Ich bin auch einmal auf diese Weise verletzt worden. Es gibt keine Freude ohne Schmerz. Denk darüber nach. Yin und Yang. Licht und Dunkel. Leben und Tod. Liebe und Trauer. Und jetzt trauerst du.«
Als ich antworte, klingt meine Stimme leise und heiser. » Mir war nicht klar, dass ich das gerade tue. Ich empfinde Trauer als… etwas Unerträgliches. Ich fühle mich, als hätte ich mit Robert sechs Jahre meines Lebens verschwendet. Sieben, wenn man das Jahr vor unserer Hochzeit mitzählt. Ich hätte von seinen Seitensprüngen wissen müssen.«
» Wahrscheinlich hat er sich große Mühe gegeben, sie dir zu verheimlichen.«
Ich wische mir einen Schweißtropfen von der Stirn. » Was habe ich falsch gemacht? War ich nicht gut genug für ihn? Eine schlechte Köchin? Beruflich zu eingespannt? Nicht hübsch genug?« Du hattest schon immer einen Dickkopf.
» Du bist wunderschön, liebenswert und aufrichtig. Wen kümmert es, ob du kochen kannst? Ich koche für dich.«
Der nächste Satz bleibt mir in der Kehle stecken. Was soll ich darauf erwidern? Meine Wangen fangen an zu glühen. Warum fällt mir das Atmen so schwer, wenn Connor so dicht neben mir steht? » Ich sollte dir nicht so viel von mir erzählen…«
» Mir gefällt deine Offenheit.« Im Nebenzimmer brennt knisternd eine Glühbirne durch.
» In deiner Gegenwart fühle ich mich so anders. Es ist, als ob ich alles sagen und tun könnte.«
» Das freut mich. Was hältst du von einem Abendessen? Willst du den Küchenchef in Aktion erleben?«
Ich gehe mit ihm in die Küche meiner Tante, wo er sich routiniert bewegt und ein Schneidebrett, ein Messer, eine Zwiebel, Knoblauch und Gemüse zutage fördert.
Seite an Seite und in einer seltsamen Choreographie bereiten wir Wok-Gemüse zu. Der Raum füllt sich mit weichen Vibrationen, als spiele irgendwo außerhalb unserer Hörweite Musik. In der duftenden Küche meiner Tante gibt es niemanden als uns beide.
Als wir uns an den winzigen Tisch setzen, greift er nicht zu.
» Ich habe vorhin schon etwas gegessen«, erklärt er.
» Willst du mir beim Essen zuschauen?«
» Mit Vergnügen.«
Errötend starre ich auf das dampfende aromatische Gemüse auf meinem Teller. Dann fange ich an zu essen, und bald fällt die Verlegenheit von mir ab. Der Geschmack sorgt für angenehme Sensationen auf meiner Zunge– Ingwer, Knoblauch, Zwiebeln, Gewürze. Noch nie haben Brokkoli und Blumenkohl so gut, Zwiebeln so süß geschmeckt. Connor erzählt mir wundersame Geschichten aus seiner Kindheit. Vom Fliegenfischen in den Flüssen an den Ausläufern der Olympics und vom Paddeln auf kristallklaren Seen. » Ich war lange fort, aber ich bin froh, wieder hier zu sein. Diese Insel ist mein Zuhause.«
» Wo wohnst du?«, frage ich.
» Im Fairport Bed and Breakfast. Aber ich suche etwas Dauerhaftes.«
» Möchtest du hier ein Haus kaufen?« Ich lasse mir die Pilze mit Zwiebeln und Ingwer schmecken.
» Eigentlich bin ich ein Nomade. Doch jetzt hat sich der Kreis für mich geschlossen, ich bin wieder zu Hause. Das hat mir lange gefehlt.«
» Ich habe die Insel auch vermisst«, erwidere ich zu meiner eigenen Überraschung. » Der Strand wirkt beruhigend auf mich. Das Moos, die saubere Luft, ja sogar den Regen habe ich vermisst.« Ich hätte nie gedacht, dass ich einmal so etwas sagen würde.
» Es hat sich kaum etwas verändert. Es gibt sogar noch einige der alten Restaurants und Läden.«
» Früher
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