Die Buecherfluesterin
aufgehoben.«
» Aha, ich verstehe. Danke. Ja, ich war in Afrika.«
» Bist du in seine Fußstapfen getreten? Ein faszinierender Mann.«
Er wirft mir einen argwöhnischen Blick zu. » Er ist seit über zwanzig Jahren tot.«
» Das tut mir leid.« Ich berühre seinen Arm. » Sicher vermisst du ihn.«
Er erstarrt deutlich. » Ich war noch jung, als er starb.«
Wie gerne würde ich ihn fragen, woran sein Vater in Afrika gestorben ist, aber ich möchte nicht aufdringlich sein. » Bestimmt hat du ihn in guter Erinnerung.«
» Ja.« Seine Stimme klingt weit entfernt.
» Als Kind hast du ihn gewiss bewundert. Er war furchtlos, einfühlsam und selbstlos. Und er hat seine Berufung sehr ernst genommen.«
» Ernst. Ja.« Er starrt hinauf zu den Sternen.
» Wenn er heute noch am Leben wäre, könnte ich mich glatt in ihn verlieben.«
» Verlieben. Ja.«
» Ist das nicht verrückt? Ich habe das Buch über sein Leben verschlungen. War Afrika für dich anders? Weißt du noch, wie es war, mit ihm dorthin zu reisen. Warst du als Erwachsener noch einmal dort?«
Er schweigt einen Moment. » Manchmal ist in Afrika der Himmel so dunkel, und es gibt so viele Sterne, dass das gesamte Universum aus ihnen zu bestehen scheint.«
» Was hat dich am meisten überrascht? Oder bedrückt?«
» Das Ausmaß des Leides. Krankheiten, die man hätte verhindern und behandeln können. Viele Menschen, denen wir begegnet sind, waren noch nie in ihrem Leben zu einem Arzt gegangen.«
» Noch nie?«
» Kein einziges Mal in ihrem Leben. Weder zum Arzt noch zum Zahnarzt. Als ich als Mediziner dort war, habe ich Menschen mit Parasiten und Zahnfleischerkrankungen behandelt– häufigen Beschwerden, die so lange unbehandelt geblieben waren, dass sie zu Komplikationen geführt hatten. Wir haben sie kuriert, so gut wir konnten.«
» Was ist aus diesen Leuten geworden, als du wieder fort warst? Wie haben sie weitergelebt?«
» Eine gute Frage. Trotz aller Entbehrungen haben sie eine schlichte Herzenswärme und scheinen interessanterweise glücklicher zu sein als die meisten Menschen hier. Sie werden nicht von Werbung manipuliert, die ihnen einhämmert, dass materielle Dinge ihnen zu einem schöneren Leben verhelfen.«
Ein blinkendes Licht am Himmel hebt sich von den Sternen ab. Ein Flugzeug. Wie gerne würde ich hineinspringen und per Anhalter nach Afrika fliegen. In ein von schlichter Herzenswärme geprägtes Leben.
» Das war sehr engagiert von dir«, sage ich. » Einfach loszuziehen und Bedürftigen zu helfen. Genau wie dein Dad.«
» Ja, das ist eine Familientradition.«
» Möchtest du wieder zurück?«
» Ich habe dort alles getan, was ich konnte.« Während er mich in der Dunkelheit betrachtet, treten die Umrisse seines Gesichtes als schroffe Schatten hervor.
» Vielleicht solltest du auch deine Memoiren schreiben wie dein Vater.« Meine Worte schweben in der Luft.
» Jetzt aber genug von mir«, erwidert er schließlich. » Was machst du, wenn du nicht in einem Buchladen arbeitest?«
» Ich verwalte sozialverträgliche Geldanlagen zur Altersvorsorge. Zumindest hoffe ich, dass ich das bei meiner Rückkehr nach L. A. noch tun werde. Ich könnte meinen Job verlieren, wenn ich nicht einen richtig großen Kunden an Land ziehe. Nur dass…«
» Nur dass was?«
Ich seufze auf. » Ich habe Angst. So, jetzt habe ich es ausgesprochen. Ich habe Angst, es zu vermasseln.«
» Warum?«
» Weil ich nur halbherzig bei der Sache sein werde. Außerdem befürchte ich, dass ich zu bemüht wirken könnte, weil ich den Job brauche.«
» Du klingst nicht bemüht, sondern unentschlossen. Das ist etwas anderes.«
Ich lächle ihn an. » Das gefällt mir. Unentschlossen.«
» Du hast also nicht vor, hierzubleiben?«
Ich trete aus dem Lichtkegel des Mondes. » Der Buchladen ist das Lebenswerk meiner Tante. Ich bin nur hier, weil ich eine Auszeit brauche. Ich bin auf der Flucht vor… meinen Erinnerungen. Und dann ist auch noch Robert hier aufgekreuzt und hat mich aus der Bahn geworfen.«
» Du liebst ihn noch.«
Stimmt das? Robert löst weiterhin starke Gefühle in mir aus.
» Ich empfinde noch etwas für ihn. Gutes und Schlechtes, aber hauptsächlich Schlechtes.«
» Das ist nur menschlich. Wir können uns nicht einfach umdrehen und andere Menschen vergessen.«
» Ich wünschte, ich könnte es. Vielleicht befinde ich mich ja in der Phase, in der man enttäuscht ist und die Realität nicht wahrhaben will.«
» Eine Scheidung ist wie ein Tod. Man
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