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Die Buecherfluesterin

Die Buecherfluesterin

Titel: Die Buecherfluesterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anjali Banerjee
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Die Zeiger sind um drei Uhr stehengeblieben.
    » Diesmal komme ich mit.« In einer Minute springe ich in meine Sachen und folge ihm die Treppe hinunter. Seine Silhouette scheint zu schimmern, als wäre er von einer winzigen Sonne umgeben.
    Als wir den Flur im Erdgeschoss erreichen, weht Tonys Stimme aus der Teeküche herüber. Er singt eine klagende Melodie, die mich an einen traurigen Abschied denken lässt. Offenbar ist er früher gekommen, um Inventur zu machen. Und er hat anscheinend die Tür nicht abgeschlossen, obwohl der Laden noch nicht geöffnet hat, denn ein Mann tritt aus dem Salon in den Flur. Er trägt ein schwarzes T-Shirt und eine Hose in Tarnfarben und hat einen blonden Labrador an der Leine. Das Haar des Mannes ist so kurz geschoren, als käme er gerade vom Militärfriseur. Schweiß glänzt auf seiner Stirn. Seine Hände zittern.
    Connor hält mich mit einer Handbewegung zurück. » Vorsicht. Geh nicht zu nah an ihn heran.«
    » Warum?« Im nächsten Moment verstehe ich den Grund.
    Der Mann fällt um und ringt zusammengekrümmt nach Atem.
    » Sir?«, frage ich. » Fehlt Ihnen etwas? Brauchen Sie Hilfe?«
    Der Mann antwortet nicht und stöhnt nur. Tony singt in der Teeküche weiter, ohne zu ahnen, was sich nur wenige Meter entfernt von ihm abspielt.
    » Oh, nein«, entsetze ich mich. » Was hat er? Connor, kannst du ihm nicht helfen?«
    » Ruf einen Krankenwagen«, erwidert Connor. » Ich muss weg.«
    Ich ziehe ihn am Ärmel. » Du kannst jetzt nicht gehen.«
    Der Mann stöhnt und zittert heftig.
    » Ruf an«, beharrt Connor leise und bedauernd.
    Mit trockener Kehle haste ich zum Flurtelefon und wähle 911. Die Zentrale meldet sich. » Um welche Art Notfall handelt es sich?«
    » Hier ist ein Mann, der eine Art Anfall hat.« Ich gebe der Telefonistin die Adresse und lege auf. Als ich mich umdrehe, ist Connor fort.
    Der Hund leckt dem Mann winselnd das Gesicht und läuft dann aufgeregt hin und her.
    Tony kommt aus der Teeküche gestürmt. » Was ist denn hier los? Wir haben noch nicht geöffnet… oh, nein! Soll ich einen Krankenwagen rufen?«
    » Schon erledigt«, antworte ich und sehe mich nach Connor um.
    Eine Frau eilt den Flur entlang und drängt sich an Tony vorbei. Olivia. » Ich habe Schreie gehört. Mein Gott!« Beim Anblick des Mannes auf dem Boden schlägt sie die Hand vor den Mund.
    » Die Sanitäter sind gleich da«, sage ich. » Gerade noch war ein Freund von mir hier. Er ist Arzt. Haben Sie ihn vielleicht gesehen? Groß, dunkelhaarig?«
    » Da war niemand.« Olivia geht in die Knie, um die Hundemarke am Halsband zu studieren. » Du heißt Hercules«, stellt sie leise fest und tätschelt ihm den Kopf. » Braver Junge. Alles in Ordnung.«
    Tony fährt sich mit den Fingern durchs gesprayte Haar. » Sollen wir es mit Wiederbelebungsmaßnahmen versuchen? Warum habe ich nur keinen Erste-Hilfe-Kurs gemacht?«
    » Die Sanitäter sind gleich da«, wiederhole ich.
    Das Heulen einer Sirene nähert sich. Die Sanitäter treffen ein und hasten mit ihrer Ausrüstung herein. Sie stellen Fragen, testen die Reaktionen des Mannes und legen ihn auf eine Trage. Tony spricht mit ihnen und folgt ihnen nach draußen.
    » Ich kümmere mich um Hercules«, sagt Olivia zu mir. » Keine Sorge.«
    » Danke, Olivia«, antworte ich, als sie mit Hercules hinausgeht. Die Tür fällt zu. Ich bin allein. Ich sehe in allen Zimmern nach, aber Connor ist verschwunden. Vielleicht sollte niemand erfahren, dass er die Nacht mit mir verbracht hat. Aber warum? Was, wenn er mir etwas verheimlicht?
    Eigentlich sollte mich das nach Robert nicht mehr überraschen, doch ich fühle mich, als hätte mich jemand, Knochen um Knochen, in meine Einzelteile zerlegt.

Kapitel 37

    D
er Typ wird wieder«, verkündet Tony am Abend kurz vor Ladenschluss.
    » Was? Wer?« Ich staube die Tische im Salon mit einem weichen Lappen ab, um mich zu beschäftigen.
    » Der Junge in der Tarnhose. Er leidet an posttraumatischem Stress. Ist gerade aus einem Kriegsgebiet zurück. Er wird eine Therapie brauchen.«
    Ich falte den Lappen zu einem ordentlichen Quadrat. » Hat er eine Familie, die ihn unterstützt?«
    » Eine Verlobte und Eltern. Sie sind jetzt im Krankenhaus.«
    » Gut, dass er eine Verlobte hat.« Jemand, der in Krisenzeiten für ihn da ist.
    Tony holt seinen Mantel aus dem Schrank. » Dr. Hunt hat nichts von sich hören lassen, stimmts? Das erkenne ich an deinem langen Gesicht.«
    » Ist es so offensichtlich?« Ich zwinge mich zu einem

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