Die Büro-Alltags-Bibel
Stattdessen regieren die Weibchen. Und zwar subtil, mit der mächtigsten Waffe überhaupt: mit Sex. Bonobos sind pansexuell und promiskuitiv bis in die Fellspitzen. Sie ziehen friedlich umher und gemeinsam ihre Kinder groß. Obendrein paaren sie sich mit jedem, der nicht bei drei auf den Bäumen ist. Das macht männliche Territorialansprüche ziemlich obsolet. Und der fortwährende Genmix befriedet jedes Machtstreben: Der Gegner könnte schließlich Halbbruder, Vetter, Vater, Onkel oder Sohn sein. Zudem hat es für die Männchen wenig Sinn, Leib und Leben für Sex mit Frauen zu riskieren, die sich ihnen sowieso bereitwillig anbieten. »Die Bonobos zeigen uns, wie sich friedliche Beziehungen in und zwischen Gruppen entwickeln können«, sagt de Waal.
Solche Sätze klingen ein wenig nach verkiffter Hippie-Romantik und Woodstock-Wunschdenken älterer Herren. Make love, not war!Doch der Primatenforscher ist weit davon entfernt, ein flammendes Plädoyer für wilde Büroorgien zu halten. Die meisten Weihnachtsfeiern sind schließlich schon peinlich genug. Vielmehr, so glaubt de Waal, schenkt uns das Tierreich damit ein paar denkwürdige Lektionen für den Alltag, etwa: Überbordendes Machtstreben macht nicht glücklich – mehr noch, es mindert die Produktivität. So beobachtete der Forscher ebenfalls, dass untergeordnete Affen das Interesse an einer Zusammenarbeit sofort verlieren, wenn das Alpha-Tier die gesamte Belohnung für sich behält. Selbst auf ungleiche Bezahlung reagieren Affen äußerst mürrisch: Bei einem Experiment sollten Kapuzineraffen in den Käfig geworfene Steinchen wieder zurückgeben und bekamen als Lohn eine Gurkenscheibe. Im Käfig daneben derselbe Versuch, nur erhielt der Affe dort eine viel leckerere Weintraube. Prompt stellte die Hälfte der Affen mit Gurkeneinkommen die Arbeit ein. 80 Prozent weigerten sich gar weiterzumachen, wenn der Affe nebenan die Traube einfach so bekam. Die Lektion ist klar: All die tagtäglichen Ränkespiele und gehegten Allmachtsphantasien – sie machen das Unternehmen nicht erfolgreicher und verschaffen dem Einzelnen allenfalls kurzfristige Befriedigung. Wer dagegen Macht und Wissen teilt, fördert den Gruppenfrieden und bündelt zudem die vorhandenen Stärken.
Im Grunde ist das ein alter Hut: Was da im Sozialgehege Büro tagein, tagaus abläuft, hat der kalifornische Psychologe Stephen Karpman bereits 1968 in seinem sogenannten Dramadreieck kompakt zusammengefasst. Für ihn übernehmen Menschen in der Sozialdynamik von Gruppen drei ständig wechselnde Rollen: Verfolger, Opfer, Retter. Am besten stellen Sie sich das so vor: Erst beschimpft der Chef seine Mitarbeiter, dass deren Leistungen unterdurchschnittlich seien. Damit mutiert er zum Verfolger, der seine Mitarbeiter zu Opfern degradiert. Dagegen opponiert aber der Betriebsrat, rechtfertigt die Leistungen als gut und verweist auf das gute Geschäftsergebnis im Vorjahr. Er wird zum Retter. Doch der Chef reklamiert: »Letztes Jahr war die Wirtschaftslage auch besser. Und wenn sich jetzt nicht alle mehranstrengen, gibt es bald Entlassungen.« Kurzum: Er schiebt die Verantwortung auf die Mitarbeiter (jetzt: Verfolger) und macht sich selbst zum Opfer. Und so weiter. All diese Rollen können mehrfach wechseln, doch es bleibt, was es ist: ein belastendes, manipulatives Miteinander, bei dem Verantwortungen, Schuldzuweisungen und Enttäuschungen nur hin- und hergeschoben werden.
Karpmans Dramamodell verdeutlicht zugleich: Wir sind nie nur Opfer, sondern ebenso Täter. So sehr uns Chef, Kollegen und all die anderen Affen auch auf die Pelle rücken, jeder Einzelne von uns ist für die Stimmung im Büro mitverantwortlich. Wie wir mit unseren Büronachbarn umgehen, mit ihnen reden, ob wir überhaupt den Mund aufmachen und sie loben oder nur kritisieren – all das prägt entscheidend die Atmosphäre am Arbeitsplatz. Wer sich als Opfer fühlt, muss ja nicht ausschließlich jammern – er oder sie kann genauso gut die Initiative ergreifen. Wer den alleinigen Retter mimen soll, kann die Kollegen gleich mit in die Verantwortung nehmen. Und Verfolger sollten schlicht negative durch konstruktive Kritik ersetzen sowie den Kollegen mehr vertrauen. Glaubt man der Psychologin Sabrina Deutsch Salamon von der York-Universität in Kanada, hat das Gefühl, dass einem im Job vertraut wird, unmittelbaren und äußerst positiven Einfluss auf die Leistungsbereitschaft.
In Köln gibt es ein schönes Sprichwort: »Jeder Jeck ist anders«, was
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