Die Büro-Alltags-Bibel
komme es, dass viele Chefs Personalführung als lästige Zusatzverpflichtung betrachteten, statt ihr meist dürftiges Führungswissen auszubauen. Reinkers Empfehlungen sind daher kompromisslos und alles andere als kooperativ: Boykott, Sabotage, Indiskretionen seien die einzig wahren Mittel, um Psychopathen auf der Chefetage in die Schranken zu weisen.
So dramatisiert klingt das zweifellos überzogen, aber ganz unrecht hat sie nicht. Sollten Sie tatsächlich an einen Neurotiker geraten, der erratische Anweisungen gibt, nie zufrieden ist, dafür aber ungerecht, sowie ständig alles kontrollieren will, schimpft und schreit, als müsse er gegen einen schweren Sandsturm anwettern, dann gibt es tatsächlich nur einen Rat: Sehen Sie zu, dass Sie einen anderen Job (und Chef) finden. Wechseln Sie die Abteilung oder das Unternehmen, Hauptsache, Sie entkommen dieser Giftspritze. Nicht umsonst nennen die Angelsachsen einen solchen Vorgesetzten einen
toxic boss
, weil der jedes Arbeitsklima und jede Motivation zerstört. Ja, sogar für den eigenen Charakter gefährlich wird. Es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass Menschen automatisch und unbewusst die Gefühle und Verhaltensweisen ihrer Umwelt imitieren und mit der Zeit ganz übernehmen. Eine Art emotionaler Gruppendruck, nur ohne spürbaren Zwang. Früher oder später stehen Sie also vor der Wahl: Entweder Sie bleiben Opfer oder mutieren selbst zum Fiesling.
Wie immer hat aber auch diese Medaille zwei Seiten. Man kann über Chefs kollern und sich darüber mokieren, dass sie zu viel tadeln und zu wenig loben, was – nebenbei bemerkt – 61 Prozent der Beschäftigten laut einer Umfrage der Initiative Neue Qualität der Arbeit (INQA) tatsächlich beklagen. Doch gar nicht mal so selten basiert die Aversion gegenüber Vorgesetzten auf zu hohen Erwartungen. Der Chef soll uns fordern und fördern, unsere Leistungen ständig beklatschen und belohnen, uns viel bezahlen und obendrein bei der Selbstverwirklichung beispringen sowie im Büro für Spiel, Spaß und Spannung sorgen. Aber im Ernst: Wer außer einer herabgestiegenen Gottheit ist dazu in der Lage?
Mehr noch: Wer dauerhaft betont, dass er seine Arbeit nur dann erledigen könne, wenn der Boss ihn richtig motiviert, der gibt damit indirekt zu, letztlich ein fauler, antriebsloser Strolch zu sein. Bedrohen, bestrafen, bestechen, aber auch belohnen und belobigen – all das sind klassische Indizien einer Misstrauenskultur, denn sie basieren, wie der Managementberater Reinhard Sprenger sagt, auf »Fremdsteuerung und Manipulation«. Folglich kann die Aussage, dass einer mehr gelobt werden möchte, entlarvend sein: Sie degradiert den Jammerer zum unselbstständigen Esel, der seine Möhre vor der Nase vermisst. So jemand profiliert sich nicht wirklich als Leistungsträger.
Natürlich soll das keine Entschuldigung sein für wiederkehrende Demütigungen und die über einen monatlichen Gehaltsscheck legitimierte Missachtung der Menschenwürde. Machen Sie sich aber umgekehrt klar: Mit einem Kuschelchef fährt man keinen Deut besser. Ich kenne Führungskräfte, die jeder Konfrontation im Job aus dem Weg gehen. Diese Manager wissen vielleicht, dass Qualität von quälen kommt und gelegentliche Ermahnungen so unvermeidlich sind wie Erbauungen nötig. Trotzdem meiden sie unangenehme Gespräche, wo sie nur können und beschönigen lieber, generalisieren und verstecken sich hinter dem unbestimmten »Man sollte vielleicht …«, statt Klartext zu reden: »Ich erwarte von Ihnen, dass …«. Auf den ersten Blick finden das viele sehr sympathisch. Aber bei genauerem Hinsehen wird klar: Diese Chefs führen nicht, sie verwalten höchstens einen Zustand und trennen Freundlichkeit von Verantwortung sowie Fairness von Aufrichtigkeit. In einer Arbeitswelt, die immer stärker auf Teamplay, Kommunikation undKreativität basiert, ist ehrliches Feedback aber unverzichtbar. Wie sollen sich die Leute sonst entwickeln können? Und sei es nur, dass sie lernen, mit Kritik besser umzugehen. Stellen Sie sich eine Gruppe vor, in der ein Mitarbeiter ständig große Reden schwingt, aber kaum etwas von seinen kühnen Visionen umsetzt, während alle anderen für ihn mitschuften müssen. Die Kollegen sehen das, der Boss sieht das – und alle erwarten von ihm, das er etwas dagegen unternimmt, Tacheles redet, den Minderleister zur Rede stellt und die Arbeit fair verteilt. Doch er schweigt – aus Furcht vor dem Konflikt, vor der dicken Luft hinterher und dem
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