Die Büro-Alltags-Bibel
dem du
etwas anderes glaubst,
fängst du an zu verlieren.«
Mika Häkkinen , Rennfahrer
Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Kino. Der Film ist so lala, aber die Hauptdarstellerin (weibliche Leser denken jetzt bitte an Brad Pitt) sieht einfach umwerfend aus. Dann kommt der Moment, in dem sie durchdringend in die Kamera schaut. Große Augen, laszives Lächeln, ein verhuschtes Blinzeln – und jeder Zuschauer glaubt seelenwund: Sie meint mich. Natürlich meint sie ihn nicht, vermutlich nicht einmal ihren Produzenten, der sie dafür bezahlt und ihr die Rolle aus wer weiß welchen Gründen gegeben hat. Aber der Augenblick wirkt. Denn die subtile Attacke zielt direkt auf die menschliche Eitelkeit und damit auf unsere vielleicht größte Schwäche.
Vor einiger Zeit hat mir ein Verhandlungsprofi eine pikante Geschichte dazu erzählt. Sie handelt von einem Einkäufer, der eine ziemlich ausgebuffte Masche entwickelt hat, um die Preise seiner Lieferanten zu drücken: Vor der Verhandlung mietet er bei einer Agentur ein Model. Nicht irgendein Model, sondern eine echte Femme fatale, die alle diesbezüglichen Klischees erfüllt: jung, blond, kurvig … Sie wissen schon. Dieses Model stellt er dann als seine Assistentin vor, die alles protokollieren wird. Reine Formsache. Und tatsächlich: Das Mädchen schreibt alles artig mit, allerdings sieht sie den Lieferanten dabei bewusst nie an. Klar, was bald darauf passiert: Der Mann plustert sich auf, gockelt, versucht charmant zu sein und zu imponieren. Vergeblich. Sie ignoriert ihn beharrlich. Dadurch steigt sein Stresspegel, was der raffinierte Einkäufer bereits zu seinem Verhandlungsvorteil nutzt – bis er an die Schmerzgrenze des Lieferanten stößt. Keine weiteren Zugeständnisse mehr möglich. Wirklich? Denn nun sagt der Einkäufer sinngemäß Folgendes: »Sie sind wirklich einer meiner liebsten Lieferanten, und wir haben bis jetzt eine sehr gute Basis gefunden. Aber für den letzten Schritt fehlt Ihnen vermutlich die Kompetenz. Möchten Sie sich bei Ihrem Chef kurz rückversichern?« Beim Wort »Kompetenz« schaut ihn das Model zum ersten Mal an – lang, intensiv, musternd. Und nie ohne die beabsichtigte Wirkung: In der Regel sind jetzt sofort noch einige Prozentpunkte drin, ganz ohne Rückfrage.
Eine phantastische Geschichte, vielleicht ist sie sogar wahr. Dass sie funktionieren würde, bestreitet indes keiner, auch bei vertauschten Rollen. Ich habe die Geschichte mehrfach in meinem Freundeskreis erzählt und vor allem die Frauen gefragt, ob das beiihnen mit einem attraktiven Mann genauso wirken würde. Einhellige Antwort: es würde. Der vermeintliche Assistent solle natürlich ebenfalls gut aussehen, und er müsse besonders viel Charme haben. Dann könne (und wolle) keine ausschließen, dass sie auf den Trick anspringt. Sex sells. Immer wieder.
In der Psychologie gibt es seit den Achtzigerjahren eine interessante Hypothese, die davon ausgeht, dass wir alle manipulieren – und zwar jederzeit. Das Baby manipuliert seine Eltern mit Geschrei, damit sie ihm Essen geben; Eltern manipulieren ihre Kinder durch Belohnung oder Strafe, damit sie machen, was sie sollen; Liebende manipulieren einander durch Zuwendung oder Liebesentzug. Und selbst dieses Wechselbad der Gefühle ist insgesamt Manipulation, um die Liebe und die Beziehung spannend zu halten. In Freundschaften, in der Freizeit, im Büro – überall setzt sich das fort. So gesehen ist selbst dieses Buch ein Manipulationsversuch: Ich schreibe es in der Hoffnung, dass Sie es kaufen und lesen – und mir wiederum Aufmerksamkeit und Anerkennung schenken. Kurz gesagt: Glaubt man der These, tun wir nichts ohne Berechnung und ohne Motiv. Das heißt nicht, dass uns das ständig bewusst wäre, aber zumindest irgendeine Kalkulation steckt stets dahinter.
Anfangs hat mich diese These nicht überrascht, geht sie doch in gewisser Weise vom Schlechten im Menschen aus, der nichts aus freien Stücken tut und schon gar nicht, ohne etwas dafür zurückzubekommen. Geben und Nehmen sind ständig um Balance bemüht, erreichen sie aber nie. So geht das Spiel immer weiter. So funktioniert Kapitalismus. So funktioniert sogar das moderne Netzwerken: Jeder knüpft möglichst viele Kontakte, denn wer weiß schon, wozu das einmal gut ist. Freundschaftspflege aus Kalkül. Wer den Gedanken zulässt, entdeckt tatsächlich, wie viele Menschen andere ständig zu beeinflussen versuchen: Selbst der Gutmensch ist am Ende nur gut, damit er Bewunderung
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