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Die Büro-Alltags-Bibel

Die Büro-Alltags-Bibel

Titel: Die Büro-Alltags-Bibel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Mai
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tippelte sein Boss mit den Fingern auf einen vor ihm liegenden Aktenstapel, um sodie eine der beiden Alternativen anzudeuten. Weidner entschied sich natürlich stets für die andere. Jahre später, als er den Job wechselte, gestand ihm sein Chef, dass er sich diese Akten nur für ihn von seiner Sekretärin auf den Tisch hatte stapeln lassen. Ein pures Ablenkungsmanöver. Seitdem ist Weidner auf der Hut, wenn ihm zwei völlig konträre Reize oder Angebote unterbreitet werden. Womöglich steckt dahinter nichts weiter als der Versuch, seine Wahrnehmung zu lenken. Was umgekehrt heißt, dass Sie sich das Prinzip natürlich ebenso ab und an zunutze machen könnten.
    Weitaus stärker als das Kontrastprinzip wirkt jedoch die sogenannte Reziprozitätsfalle. Schwieriges Wort, ich weiß. Das Phänomen kennen Sie wohl eher als ungutes Bauchgefühl, nachdem Sie von jemandem beschenkt wurden. Danach fühlen sich viele seltsam verpflichtet, so als stünden sie in einer plötzlichen Schuld, Motto: Wie du mir, so ich dir – voilà, das ist die Reziprozitätsfalle!
    Zahlreiche Soziologen, darunter auch der Amerikaner und Professor an der Universität von New York, Alvin Gouldner, sind sich heute einig, dass die Verpflichtung zur Gegenseitigkeit etwas zutiefst Menschliches beziehungsweise ein weit verbreitetes Gesellschaftsprinzip ist. Auf ihm basieren Netzwerke ebenso wie Seilschaften, Kumpanei und Klüngel. Es steckt sogar hinter der Redensart
Eine Hand wäscht die andere
. Gemeinerweise funktionieren aber auch Gratisproben in Supermärkten nach diesem Muster. Neulich hörte ich von einem pfiffigen Feinkostladenbesitzer in Waiblingen, der bei einer Promotionsaktion interessierten Passanten eine leere Flasche mit dem Etikett seines Ladens schenkte. Darauf stand das Versprechen: Wer den Feinkostladen mit der Flasche besuchen würde, könne sie sich kostenlos mit 200 ml leckerem Speiseöl auffüllen lassen – unabhängig davon, ob derjenige etwas kauft oder nicht. Raffiniert: Denn so schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe. Zuerst lockt er die gierige Kundschaft in den Laden, um sie dann per Reziprozität zum Kauf zu verführen. Clever und wirkungsvoll.
    In Robert B. Cialdinis Buch
Die Psychologie des Überzeugens
las ich, dass die Organisation amerikanischer Kriegsversehrter einmal berichtete, die Rücklaufquote auf Standard-Spendenaufrufe läge bei 18 Prozent. Würde den Briefen allerdings ein kleines Präsent – wie zum Beispiel handbemalte Postkarten – beigefügt, stiege die Erfolgsquote auf über 35 Prozent. So ist das mit den Geschenken:Sie verbinden, sie können aber auch Schuldgefühle erzeugen. Und weil keiner als Schnorrer dastehen will, versucht man sich zu revanchieren.
    Genau diese subtile Wirkung verleiht der Reziprozität so große Schlagkraft. Denken Sie nur an Zugeständnisse während einer Verhandlung. Sie setzen den Nutznießer jedes Mal unter sublimen Druck. Nur ein rücksichtsloser Starrkopf lenkt danach nicht ein. In der zeitlichen Dimension wirkt diese Masche besonders heimtückisch. Wer zuerst ein Opfer bringt, kann so zusätzlich den Zeitpunkt der Gegenleistung beeinflussen. Der Klassiker in dem Zusammenhang sind Tarif- beziehungsweise Gehaltsverhandlungen. Sie beginnen fast immer mit überhöhten Forderungen. Warum? Weil die Arbeitnehmerseite nach einigem Geplänkel als Erste einlenken und Abstriche anbieten kann. Zack, schon steckt die Arbeitgeberseite in einem Dilemma: Die anderen haben bereits ein Opfer gebracht, nun müssen auch sie Entgegenkommen signalisieren, um nicht als kaltherziger Trotzkopf dazustehen. Zugegeben, das ist ein simples Beispiel, das heute leicht durchschaut wird. Deshalb sollte man es mit der Masche auch nicht übertreiben, sonst geht der Schuss nach hinten los. Untersuchungen der israelischen Bar-Ilan-Universität zeigen: Wer übertrieben unrealistische Forderungen stellt, dem wird abgesprochen, ernsthaft zu verhandeln. Ein späteres Abrücken wird dann nicht mehr als Zugeständnis gewertet, sondern als nötige Korrektur. Die Wirkung der Reziprozität verpufft.
    Dass Sie mich aber bitte nicht falsch verstehen und ab sofort keine Geschenke mehr annehmen: Nicht jeder Schenker spekuliert darauf, Sie zu betuppen – der Mehrheit geht es höchstwahrscheinlich eher darum, Ihnen eine Freude zu bereiten (oder eine alte Schuld zu begleichen). In allen Fällen aber, in denen Sie das dumpfe Gefühl haben, dass die gemachten Offerten einen Zweck verfolgen, drehen Sie den Spieß ruhig um:

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