Die Burg der flammenden Herzen
an sie war so lebendig, dass er beinahe den Duft ihres Haars wahrnehmen und die Wärme ihres Leibes spüren konnte. Er öffnete den Brief. Nur drei dürftige Zeilen bedeckten den weißen Untergrund: ihre Begrüßung, eine Zeile, um ihm mitzuteilen, dass es ihr gut gehe und dass sie hoffe, auch er sei wohlauf, und ihre Unterschrift. Die Zeilen wirkten verloren auf dem großen Bogen. Er las sie dreimal und sah Beatrice in jedem zittrig geschriebenen Buchstaben. Um den Brief nicht noch ein viertes Mal zu lesen, faltete er ihn rasch zusammen und steckte ihn in sein Wams.
“Wenn Ihr es erlaubt, Sir, würde ich mich gerne von dem Ritt frisch machen.” Und den Brief beantworten, obgleich er keine Vorstellung hatte, wie die Antwort aussehen sollte.
Der Earl war in seinen Brief vertieft und schaute nur kurz auf. “Gut. Wir sehen uns bei der Abendmahlzeit.”
Sebastian verbeugte sich und verließ die Empfangshalle.
Nachdem er sich gewaschen hatte, ließ er Pergamentpapier und Feder kommen, doch als er sich hinsetzte, um zu schreiben, war sein Kopf leer. Was konnte er ihr mitteilen? Er schrieb die Grußzeile, in der Hoffnung, die Feder auf dem Papier würde ihm weiterhelfen. Doch es half nichts. Die Tinte trocknete auf der Spitze der Feder, als er auf die Zeile starrte und auf eine Eingebung wartete. Sie hatte geschrieben, sie hoffe, dass er wohlauf sei. Das konnte er beantworten. Er tauchte die Feder ein und schrieb. Am Ende des Satzes verließ ihn die Eingebung, und die Feder trocknete erneut aus. War sie wohlauf? Wieder tauchte er die Feder ins Tintenfässchen und schrieb. Als ihm diesmal die Gedanken ausgingen, stellte er die Feder in die Tinte, damit sie nicht ein drittes Mal austrocknete.
Ich möchte nicht ohne dich hier sein. Ich finde keinen Schlaf vor Sehnsucht nach dir, liege wach und träume nur von dir. Ich will nicht noch einmal von dir getrennt sein.
Sebastian konnte keinen dieser Gedanken aufs Papier bringen. Er wollte ihr nicht erneut sein Herz anvertrauen, auch wenn sie sich offenbar verändert hatte.
Schließlich nahm er die Feder und unterschrieb mit seinem Namen.
Beatrice saß bei ihrer Mutter in der Kemenate und nähte ein Hemd für Sebastian, als der Bote mit Briefen von Herron hereinkam. Einer war für sie, von Sebastian. Ihre Mutter reichte ihn ihr mit einem Lächeln herüber, das ihr das Blut in die Wangen trieb.
Der Brief war kurz, so wie der ihrige. Sie hatte nicht gewusst, was sie sagen sollte, da die Zeilen an George auf ihrer Seele lasteten. Außerdem hatte die alte Abneigung gegenüber der Schreibfeder sie eingeschränkt. War Sebastian so kurz angebunden, weil sie ebenfalls nur wenig geschrieben hatte? Und warum sank ihr das Herz, als ob sie enttäuscht wäre? Hatte sie einen Liebesbrief von einem Mann erwartet, der sie nicht liebte?
“Du siehst nicht zufrieden aus, mein Kind. Stimmt etwas nicht?”
Beatrice’ Augen brannten. Sie blinzelte und schaute auf. “Nein. Ich hatte nur einen längeren Brief erwartet. Er schreibt lediglich, dass er wohlauf sei, und er hofft, dass es Euch und mir ebenfalls gut geht.”
Ihre Mutter schnaubte. “Dein Vater würde auch nicht mehr schreiben, wenn ich es nicht anders wünschte. Möchtest du hören, was er zu berichten weiß?”
Beatrice wurde wieder leichter ums Herz. Die Liebe machte sie schwindelig, wankelmütig und töricht, und sie vermochte dies genauso wenig zu beeinflussen wie die steigende Flut. Sie sah ihrer Mutter in die Augen und kam in der weisen Wärme ihres Blicks zur Ruhe.
“Ich würde es sehr gerne hören.”
Die Countess lächelte, senkte den Kopf und begann laut zu lesen.
Sie hätten den Streit beigelegt, der sie ursprünglich nach Herron geführt hatte; Sebastian sei in der Angelegenheit äußerst klug und umsichtig vorgegangen. Er selbst habe lediglich angekündigt, dass das Landgut an Michaelis an die Familie Benbury zurückgegeben werde; das habe ausgereicht, um die streitenden Parteien wieder zur Vernunft zu bringen. Nach der Streitschlichtung hätten Sebastian und ihr Vater die Tage damit verbracht, die Lehnsmänner von Herron zu besuchen und die Höfe, Felder und Wälder in Augenschein zu nehmen, die zu dem Landgut gehörten. Sebastian habe vor den Lehnsmännern eine gute Figur gemacht, und er selbst habe keinen Zweifel, dass er ein trefflicher Gutsherr sein werde.
“Teilt er mit, wann sie zurückkommen werden?” fragte Beatrice.
“Nein, leider nicht.”
Beatrice nickte enttäuscht.
“Du möchtest sicher
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