Die Burg der Könige
einige Bettler war niemand in ihrer Nähe. Im Nachhinein kam ihr das Flüstern seltsam unwirklich vor.
Agnes schüttelte den Kopf und versuchte das Ganze als einen ihrer bösen Träume abzutun. Vermutlich hatte sie wirklich ein wenig Fieber. Außerdem steckte sie auch so schon in genügend Schwierigkeiten. Schlagartig fiel ihr ein, dass ihr Vater bestimmt schon auf sie wartete. Sie erhob sich und eilte über den Markt zur Münze, die nun bereits merklich leerer wirkte. Nur noch wenige Händler umstanden das Gebäude, im Bach in der Mitte der Straße trieben die stinkenden Abfälle eines langen Tages.
Agnes wollte bereits hinauf in den ersten Stock gehen, als sie ihren Vater bemerkte. Er saß auf einer steinernen Bank unter den Arkaden. Zunächst hatte sie ihn kaum erkannt, so zusammengesunken kauerte er dort, wie ein uralter, einsamer Mann. Starren Blicks fuhr er mit seinen Fingern durch Bart und Haare, er wirkte unendlich müde. Vorsichtig ging Agnes auf ihn zu.
»Jakob Gutknecht …«, hob sie leise an. Doch ihr Vater schüttelte nur den Kopf.
»Das Geschäft kommt nicht zustande«, sagte er leise.
Agnes’ Beine wurden plötzlich weich. Sie setzte sich neben ihren Vater und wusste nicht, ob sie weinen oder sich freuen sollte.
»Vater …«, stammelte sie. »Es … es tut mir so leid. Ich hätte niemals …«
Erfenstein winkte ab. »Es waren nicht deine Widerworte. Wenigstens haben sie nicht den Ausschlag gegeben. Es war das Geld. Gutknecht hätte auf eine Mitgift verzichtet, aber als er hörte, wie wenig Besitz wir noch haben, als ich ihm die Papiere zeigte, die spärlichen Lehen, da … da …« Dem Vogt versagte die Stimme. »Er hat gelacht«, brachte er schließlich heraus. »Dieses Schwein hat gelacht, über mich, einen Ritter! Wenn ich mein Schwert dabeigehabt hätte, ich … ich hätte ihn erschlagen wie einen tollen Hund.« Er schüttelte den Kopf, und Agnes glaubte ein paar neue graue Haare in seiner ehemals pechschwarzen Mähne zu sehen. »Wo sind wir hingekommen, Agnes?«, fragte er matt. »Wo sind wir hingekommen, dass ein Händler über einen Ritter lacht?«
»Die Zeiten haben sich geändert, Vater.« Agnes nahm seine Hand und drückte sie fest.
»Und was nun?«, fragte sie nach einer Weile des Schweigens.
»Was wohl?« Der Vogt stand ächzend auf. »Wir werden uns drüben bei den Wollhändlern Geld leihen. Einer von ihnen hat mir vorher einen Kredit versprochen. Zu Wucherzinsen! Und wenn kein Wunder geschieht, werde ich meine Schulden nächstes Jahr nicht mehr zurückzahlen können, und ich bin den Trifels los. Aber wenigstens du bleibst mir erhalten.« Er drehte sich zu Agnes um und musterte sie lange und liebevoll. »Wie hab ich nur daran denken können, mein kleines Vögelchen an so einen Speyerer Pfeffersack zu verschachern?«, sagte er leise, wie zu sich selbst. »Lieber springe ich vom höchsten Turm des Trifels, als dich an diese neureichen Speyerer Patrizier zu verkaufen.«
Schweigend erhob er sich und schlich über den Markt davon. Agnes eilte ihm hinterher. In diesem Moment war sie sich nicht sicher, wie ernst ihr Vater den letzten Satz tatsächlich gemeint hatte.
***
Die Rückreise zum Trifels am nächsten Tag verlief schweigend. Philipp von Erfenstein brütete still vor sich hin, während Agnes zwischen Angst und Erleichterung schwebte. Sie würde keinen Speyerer Kaufmann heiraten! Wenigstens im Augenblick konnte sie sich der Illusion hingeben, dass alles so war wie früher. Doch sie wusste, dass der Tag schon bald kommen würde, an dem ihr Vater einen neuen Gatten für sie aussuchen würde. Und es würde nicht Mathis sein.
Eine Weile beschäftigte Agnes noch der Gedanke, wer ihr in der Krypta des Doms aufgelauert haben könnte. Doch dann beschloss sie, dass sie sich ihren Verfolger und vor allem die Stimme nur eingebildet hatte. Ein paarmal blickte sie sich noch um oder spähte zwischen die Bäume und Äste des Waldes, doch da war niemand. Und so munterte sie lieber ihren Vater auf, indem sie ihn nach alten Schlachten und Turnieren fragte, die er einst bestritten hatte. Das hellte Erfensteins Laune zumindest ein wenig auf.
Sie wollten über Eußerthal zurückreiten, da der Burgvogt sich mit dem Kloster vor einiger Zeit überworfen hatte wegen eines kleinen Waldstücks, auf das beide Parteien Anspruch erhoben. Eine Unterredung mit dem Abt sollte den Streit nun klären. Allerdings fürchtete Agnes, dass ihr Vater nicht eben in der Stimmung für ein konstruktives Gespräch
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