Die Burg der Könige
oberen Steine wegbrachen, wehte Mathis modrige feuchte Luft entgegen.
Der Spalt, von dem Pater Domenicus sprach! , dachte er. Der Spalt, durch den Constanzas Stöhnen und Singen bis zu ihrem Tod noch zu hören war. Der Dekan hat tatsächlich recht gehabt!
»Das ist ein Haufen Arbeit, Jockel«, murrte einer der Bauern und ruckelte an der Platte. Es war der Mondgesichtige, der Mathis noch vor einigen Stunden in den Kerker hinabgelassen hatte. »Dieses Ding sitzt felsenfest im Boden. Da müssen wir ganz schön graben.«
»Dann grabt gefälligst!«, zischte Jockel. »Oder wollt ihr vielleicht, dass euch die Landsknechte in ein paar Stunden die Kehle aufschlitzen?«
»Aber du hast doch gesagt, dass uns andere Bauernhaufen zu Hilfe kommen, und dann …«
»Das tun sie auch! Aber bis dahin wäre es nicht schlecht, nun … äh … einen zweiten Plan zu haben. Das hat mit Kriegshandwerk zu tun, das versteht ihr nicht.«
Brummend setzten die Bauern ihre Arbeit fort, während Jockel argwöhnisch hinüber zu Agnes blickte. Schon seit längerer Zeit lehnte die Vogtstochter zusammengekauert an der gegenüberliegenden Wand, ihre Augen waren geschlossen. Mathis war sich nicht sicher, ob es an dem Fieber lag, das Agnes offensichtlich seit einiger Zeit quälte. Seitdem sie hier unten im Kerker war, schien sie jedenfalls wie in einer anderen Welt.
»Was ist mit ihr?«, wollte Jockel von Mathis wissen. »Ist die Frau Gräfin etwa krank? Behagt ihr die Luft hier unten nicht?«
»Es geht ihr nicht gut«, erwiderte Mathis. »Das siehst du doch! Sie hat Fieber und Schmerzen. Wahrscheinlich haben deine dummen Bauern bei der Gefangennahme zu fest zugelangt.«
Der Jockel lächelte schmal. »Das ist nichts gegen die Schmerzen, die ich ihr zufüge, wenn ihr Mann es tatsächlich wagen sollte, den Trifels zu stürmen. Wir haben eine Botschaft ins Lager der Landsknechte gesandt. Der Graf weiß, dass sein Flittchen hier ist. Und er weiß auch, was wir mit ihr anstellen, wenn er auch nur einen Finger gegen uns erhebt.«
Mathis erwiderte nichts, sondern blickte sorgenvoll hinüber zu Agnes. Hatten die Ohnmachtsanfälle und die geistige Abwesenheit vielleicht wirklich etwas damit zu tun, dass sie sich dem Grab ihrer Vorfahrin näherten? War so etwas möglich?
Die nächste halbe Stunde verstrich schweigend. Die Bauern gruben und keuchten, sie trieben ihre Hacken tief in den Boden, bis vor der Platte ein über ein Schritt tiefes Loch ausgehoben war. Endlich ließ sich die Steintafel bewegen.
»Zieht sie heraus!«, befahl der Jockel und rieb sich die Hände. Sein Buckel zitterte vor Aufregung. »Wollen doch mal sehen, was sich dahinter befindet.«
Schnaufend hoben die Bauern die schwere Platte und ließen sie schließlich auf den Boden krachen, wo sie in mehrere Teile zersprang. Wo sie gestanden hatte, kam ein niedriger Gang zum Vorschein. Der muffige Geruch war nun so stark, dass sich die Männer die Hände vors Gesicht hielten.
»Ah, willkommen am Eingang zur Hölle!«, sagte der Jockel grinsend. »So wie das riecht, hat den Gang wohl schon lange keiner mehr benutzt. Umso besser.«
Nur einen Augenblick später erschütterte ein dumpfer Donnerschlag den Kerker. Die Bauern schrien auf und sahen ängstlich nach oben, von wo der Lärm gekommen war.
»Heilige Mutter Maria, der Teufel!«, schrie der Mondgesichtige. »Wir haben den Teufel geweckt!«
»Keine Angst«, beruhigte sie Jockel. »Das sind nur die Geschütze der Belagerer. Offenbar hat der Sturm auf die Burg begonnen.« Er versuchte ein Lächeln, das ihm allerdings nur zum Teil gelang. »Aber der Trifels hat schon weit Schlimmeres überstanden, nicht wahr? Also los jetzt, wir haben nicht mehr viel Zeit!«
Sorgenvoll äugte der Jockel hinauf in den Schacht, wo nun Schreie und weitere Schüsse zu vernehmen waren. Es hörte sich an, als würden einige der Landsknechte bereits in den Burghof stürmen. Eben wollte der Bucklige in den dunklen Tunnel eilen, als eine helle laute Stimme ihn plötzlich innehalten ließ.
»Zurück, alle! Ich bin die Erste, die diesen Gang betritt!«
Erstaunt sah sich Mathis nach Agnes um, die sich nun zitternd, aber mit neuem Selbstbewusstsein dem Eingang näherte. Sie schien wie aus einem langen Schlaf erwacht.
»Wenn wir diesen Weg schon beschreiten müssen, werde ich als Erste gehen«, sagte sie bestimmt. »Das bin ich meinen Vorfahren schuldig.«
»Vorfahren? Verflucht, was faselst du da?« Der Jockel sah sie verdutzt an. »Und überhaupt, wie
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