Die Burg
Tochter, die Fiona, sitzt mit dabei.»
Annika Lohmeier war vierzehn gewesen, als Frau Claasen ins Haus gekommen war – «Ich hab das Kind quasi mit großgezogen» –, und achtzehn, als ihre Mutter starb. Nur ein knappes Jahr später hatte sie geheiratet und sehr schnell eine Tochter bekommen. Mittlerweile war sie geschieden und wieder ins Elternhaus zurückgekehrt.
«Und Sie meinen ehrlich, dass der Bombenleger es auf den Richter abgesehen hat?», fragte sie mit glänzenden Augen. «Aus Rache?»
«Könnt’ doch sein.»
«Na, da brauchen Sie gar nicht in die Ferne schweifen. Ich sag nur eins: Nick Raats. So nennt er sich jedenfalls, eigentlich heißt er Dominik.»
«Und wer soll das sein?»
«Na, der Kerl, der unserer Annika das Kind gemacht hat. Ich kann Ihnen sagen, der Richter ist da fast dran kaputtgegangen. Der wusste nämlich sofort, dass dieser Raats ein Verbrecher war, und stimmte dann ja auch.»
Es dauerte eine ganze Weile, bis Ackermann sich ein klares Bild machen konnte, aber was sich ihm dann auftat, war schon ein starkes Stück: Nick Raats war zwölf Jahre älter als Annika Lohmeier und zum Zeitpunkt der Eheschließung Immobilienmakler gewesen. Richter Lohmeier war dahintergekommen, dass der unerwünschte Schwiegersohn in großem Stil Steuern hinterzog, und hatte ihn höchstpersönlich angezeigt. Raats war verurteilt worden und für ein paar Jahre in den Bau gewandert. Annika Lohmeier hatte sich scheiden lassen und war zu Papa zurückgekehrt.
«Und jetzt ist der Kerl seit ein paar Monaten wieder auf freiem Fuß», erzählte Frau Claasen, «und stellt der Annika nach, ruft dauernd an, lauert ihr auf, auch der Kleinen an der Schule. Der Richter lässt Annika schon gar nicht mehr zur Arbeit gehen. Das Kind hat ja damals die Schule hingeschmissen, kein Abitur, gar nichts. Aber jetzt macht sie eine Lehre zur Anwaltsgehilfin bei einem guten Freund. Von dem Raats will sie wirklich nichts mehr wissen. Und der Richter hat gesagt, der Kerl hätte immer noch genug Dreck am Stecken, dass er ihn wieder drankriegt, und diesmal käme der so schnell nicht wieder raus.»
Toppe hatte fast anderthalb Stunden am Telefon verbracht und fühlte sich etwas benommen. Er hatte mit den Sitzwachen in allen Krankenhäusern gesprochen, in denen die Verletzten lagen. Keinem der Polizisten war eine verdächtige Person aufgefallen, alles war ruhig.
Dann hatte er noch einmal den Bürgermeister angerufen. Auch wenn ihm sein Gefühl etwas anderes sagte, durfte er die Möglichkeit nicht außer Acht lassen, dass der Bombenleger es auf die Prominenz abgesehen und nur aus Versehen die zweite Garnitur erwischt hatte. Sie mussten in Betracht ziehen, dass der Attentäter beim nächsten größeren öffentlichen Ereignis wieder zuschlug. Und das fand, nach Auskunft des Bürgermeisters, am Freitag nächster Woche im Museum Kurhaus statt – einem Ehepaar sollte die Ehrenbürgerschaft der Stadt verliehen werden. Dort würde alles, was Rang und Namen im Städtchen hatte, zusammenkommen. Und natürlich morgen bei Panniers Beerdigung. Ihm wäre es am liebsten gewesen, wenn der Bürgermeister sich davon ferngehalten hätte, aber der Mann bestand darauf, seinem Freund die letzte Ehre zu erweisen, er wollte sogar eine kurze Ansprache halten. Toppe war mit dem Einsatzleiter die Sicherheitsmaßnahmen noch einmal Punkt für Punkt durchgegangen und hatte keine Lücken entdecken können.
Wenn viele Trauergäste kamen, würde es ein ganz schöner Affentanz werden. Es würde ewig dauern, bis alle durch die Einzelschleuse auf den Friedhof gelangt waren und die Trauerfeier beginnen konnte. Die Menschen würden wenig erfreut sein.
Ruths und Tonis Kinder wussten Bescheid und hatten Verständnis gezeigt, aber ihm war klar, wie qualvoll es für sie werden würde.
Er stand auf, besann sich dann aber und drückte auf den Knopf seiner Gegensprechanlage. «Würden Sie mir wohl einen Kaffee bringen?» Doch seine Sekretärin antwortete nicht. Ob sie schon gegangen war? Sie hatte vorhin irgendetwas zu ihm gesagt, aber er hatte nicht hingehört. Wahrscheinlich sollte er im Moment sowieso besser gar keinen Kaffee trinken. «Die Sitzungen des Stadtrates», schoss es ihm durch den Kopf. Auch da mussten sie Sicherheitsvorkehrungen treffen.
Seufzend griff er wieder zum Telefon.
«Die nächste Ratssitzung ist am 17. Mai», teilte ihm die Sekretärin des Bürgermeisters mit. «Haben Sie noch weitere Fragen?» Sie klang schnippisch, und er legte schnell auf.
Am
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