Die Burg
17. Mai erst, das gab ihm etwas Zeit. Auf alle Fälle mussten das Rathaus und das Museum nach Bomben abgesucht und anschließend bewacht werden. Wo sollte er die Leute hernehmen? Es führte wohl kein Weg an Doppelschichten vorbei – die Kollegen würden begeistert sein. Er rieb sich den steifen Nacken, rollte mit den Schultern. Wenn der Täter es aber nun tatsächlich auf eine einzelne Person abgesehen hatte, würde er bei einem weiteren Anschlag vielleicht gar keine Bombe einsetzen.
Was war das für ein Mensch? Wie dachte er?
Das Telefon unterbrach seine Überlegungen. Es war Astrid. Sie hörte sich müde an. «Ich stehe im Stau, irgendwo auf der Landstraße, keine Ahnung, wann ich zurück bin. Ob du es glaubst oder nicht, hier schneit es.»
Die Zärtlichkeit, die ihn plötzlich erfüllte, entspannte ihn. «Dann lass dir bloß Zeit, ich will dich im Ganzen zurück.»
Sie lachte leise. «Natürlich, was denkst du denn? Diesen Ausflug hätte ich mir übrigens schenken können. Heiligers, der Stiefvater, hat ein Alibi. Im Ort war Osterkirmes, und er hat an beiden Feiertagen dort gekellnert.»
«Wäre ja auch zu schön gewesen», brummte Toppe.
«Was macht dein Herz?», überrumpelte sie ihn.
«Ich weiß nicht, was du meinst», gab er lahm zurück.
«Meine Güte, Helmut, wie lange kenne ich dich? Glaubst du tatsächlich, ich kriege das nicht mit?»
«Es ist wirklich nicht so arg», beschwichtigte er sie. «Es stolpert nur manchmal ein bisschen, leichte Rhythmusstörungen, so was hat jeder mal.»
«Aber nicht so anhaltend. Morgen gehst du zum Arzt.»
«Astrid, morgen ist die Beerdigung.» Er versuchte, streng zu klingen. «Da habe ich nicht mal Zeit zum Luftholen.»
«Das werden wir ja sehen! Hör zu, du Sturkopf, ich muss Schluss machen. Ich sehe da vorn einen Supermarkt, da kaufe ich schnell für unser Abendessen ein.»
«Bis gleich, Liebes.»
Sie hatte ja recht, so langsam wurde ihm selbst etwas mulmig bei den Zicken, die sein Herz machte. Wie weit Jupp wohl mit den Fotos gekommen war? Er tippte die Durchwahl zu Ackermanns Büro ein, aber es meldete sich niemand, und sein Handy war abgeschaltet.
Er brauchte dringend etwas gegen den schalen Geschmack im Mund und durchwühlte seine Schreibtischladen nach etwas Essbarem. Das Einzige, was er fand, war ein angejahrtes Päckchen Kaugummi. Der Himmel allein wusste, wie es dort hingekommen war – er hasste Kaugummi.
Ackermanns Büro war verwaist, sogar die Fotos waren verschwunden. Das Geheimnis lüftete sich, als er in die Wache kam. Die beiden diensthabenden Kollegen hatten die Aufnahmen überall auf den Arbeitsflächen ausgebreitet und waren völlig in ihre Betrachtung vertieft. «Das hier ist Jüppken Jansen mit seiner Frau, auf Foto Nr. 219. Und daneben ihr Bruder. Wie hieß der nochmal?»
Der andere schaute hoch. «Können wir was für Sie tun, Chef?»
«Eigentlich bin ich auf der Suche nach Ackermann.»
«Der musste kurz mal weg, wollte aber nicht lange bleiben. Er hat uns die Fotos hiergelassen. Wir sollen alle mal einen Blick darauf werfen und aufschreiben, wen wir darauf erkennen.»
«Und?»
«Jede Menge.» Der Kollege lachte. «Man kommt ja nicht umsonst von hier. Haben Sie es schon bei Jupp auf dem Handy probiert?»
«Ja, das hat er ausgeschaltet.»
«Hm, dann wird er wohl gerade jemanden in der Mangel haben, da klinkt er sich schon mal gerne aus.»
«Helmut!» Es war Cox, der sich im ersten Stock über das Geländer beugte. «Die Handylisten von den Providern!»
«Schon?» Toppe hastete die Treppe hinauf, aber Peters grimmiges Gesicht bremste ihn aus. «Hohlköpfe, allesamt! Weißt du, was die gebracht haben? Die haben uns fein säuberlich ausgedruckt, welche Handys am Sonntagnachmittag im Bereich des Sendemastes eingeschaltet waren, und uns netterweise auch noch erklärt, warum ihnen das möglich war. Jedes eingeschaltete Mobiltelefon sendet nämlich alle sechzig Sekunden ein Signal an den Mast und kann so jederzeit geortet werden. Halleluja! Kannst du dir vorstellen, wie viele das waren? Guck dir die Liste an. Aberhunderte! Jeder Esel, der zu Hause auf dem Sofa saß und überhaupt nichts mit der Burg zu tun hatte. Dabei war meine Anfrage – samt richterlichem Beschluss – höchst eindeutig. Soll ich sie dir zeigen?»
«Brauchst du nicht.»
Aber Cox war wirklich sauer und hörte nicht zu, was selten genug vorkam. «Ich habe diesen Schwachmaten gesagt, wir brauchen eine Liste aller Handytelefonate, die am Sonntag gegen
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