Die Capitana - Roman
befreundeten Soziologen, den sie zur Auflockerung bewusst mit eingeladen hatten. Obwohl alle sich an dem Gespräch beteiligten, blieb die Atmosphäre steif.
»Gut«, sagte Mika schließlich. »Wie ich gehört habe, haben Sie mein Buch gelesen, Monsieur Klein.«
»Richtig, und ich möchte klarstellen, dass ich nie irgendeine … unehrenhafte Absicht Ihnen gegenüber hatte.«
»Unehrenhaft?« Mika, herausfordernd. »Ich würde sagen, frivol, obwohl ich, glaube ich, dieses Wort nicht verwendet habe.«
Schärfe lag nur in Rogers Blick, seine Stimme war vollkommen ruhig, die Worte klar, und so leise gesprochen, als beabsichtigte er, dass niemand anderer sie hörte als diese Frau, Mika.
»Ich wollte nicht mit Ihnen schlafen, Señora. Das haben Sie falsch verstanden.«
Mika brauchte eine Ewigkeit, bis sie antwortete, man sah ihr an, wie sehr sie sich zusammennahm:
»Wie hätte ich Ihre Einladung, bei Ihnen zu schlafen, denn verstehen sollen« – ihre anschwellende Stimme – »in Ihrem Bett, in Ihrem Zimmer, in Ihrem Hotel? – und an alle gerichtet – »Verzeiht mir meine Schamlosigkeit, liebe Freunde, ich glaube, Monsieur Klein und ich haben uns allzu sehr gehenlassen bei unserem Versuch, diese Angelegenheit zwischen uns zu klären.«
»Allerdings«, stimmte Roger zu, erleichtert, dass seine Widersacherin ihm diesen Ausweg bot.
Maurice schaffte es unter Aufgebot seines ganzen Geschicks, das Gespräch wieder in die Bahnen eines geselligen Abends unter aufgeschlossenen, gebildeten Freunden zurückzuführen, schließlich waren doch sie alle an diesem Tisch nette Menschen. Er baute für sie sogar eine Brücke, damit sie einer Meinung sein konnten, warum nicht, so ist es eben, sagte er, wie wahr, bestätigte Mika, schließlich stimmte ihre Weltsicht in vielem überein. Und als sie sich verabschiedeten, haderten sie weniger miteinander als bei ihrer Begrüßung.
Erst die Hochzeit von Ded und Guy, bei der Mika und Roger Trauzeugen waren, wie hätten sie das ablehnen können, als gute Freunde?, dann die Treffen und Essen, zu denen die Prévans sie regelmäßig einluden, die Gespräche, ihr Lachen trugen dazu bei, dass ihr Konflikt allmählich an Gewicht verlor, schrumpfte zu einem belächelnswerten Vorfall zwischen zwei wunderbaren Menschen, die an dem großen ideologischen und kulturellen Abenteuer des zwanzigsten Jahrhunderts teilgehabt hatten.
Ich habe den einen oder anderen unfertigen Text, verschiedene Entwürfe über dieses Abendessen mit dem Journalisten gelesen, die du über die Jahre geschrieben hast, den ersten im Lycée Français in Madrid 1938, wo du Zuflucht fandest. Von diesen Texten ausgehend, weitere Texte, aus dieser und jener Warte erzählt, aber immer geht es in ihnen um einen Mann, der eine kämpfende Frau verehrt, die sich – so gern sie es gewollt hätte – nicht einen Augenblick Genuss erlaubt. In die Geschichte mit dem Journalisten spielt vieles mit hinein, dein kompliziertes Verhältnis zu deinen Milizionären, die prekäre Lage des POUM, die abwartende Haltung Frankreichs. Was blieb von dem konkreten Journalisten, dem du in deinem Zeugnis bewusst keinen Namen gibst, sondern zu dem es nur die Fährte deiner Worte gibt? Nichts, außer diese mit Leidenschaft erschaffene Figur.
Was ist geblieben von dem Menschen, den Ded vor sich zu haben glaubte?
Um mit den Worten deines Freundes Julio Cortázar zu sprechen, der sich wiederum auf Derrida bezog: In deinen Kriegserinnerungen, so wie du sie der Öffentlichkeit zugänglich gemacht hast, war von Roger Klein so gut wie nichts übrig geblieben, weder sein Name noch seine Person; selbst du warst nicht mehr dieselbe von damals und hast mit anderen Augen auf ihn geblickt als damals, als du Roger im Speisesaal des Hotel Gran Vía in Madrid gegenübergesessen hattest. Vielleicht hat diese Figur sich dir so, wie du sie dargestellt hast, aufgedrängt, auf jeden Fall kam sie dir für deine Version der Geschichte gelegen (so wie der Roger Klein, den Ded Dinouart mir anbot, mir für dieses Buch gelegen kam).
Der Journalist von damals war zusammengeschmolzen zu dem Zwischenfall in dem Hotel, der euch im Jahr 1976 wieder zusammenführte; der Mensch selbst sollte in den letzten Jahren deines Lebens zu einem deiner engsten Freunde werden. Der Beweis: mit dem Journalisten hast du dich geduzt, mit Roger bist du immer beim Sie geblieben.
Seit einiger Zeit machte das Alter Mika Beschwerden, nach einem Sturz musste sie ins Krankenhaus. Roger kam sie überraschend
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