Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Cassini-Division

Die Cassini-Division

Titel: Die Cassini-Division Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken MacLeod
Vom Netzwerk:
was ihre Nachfahren auf dem Jupiter
der Erde in der Zeit des Großen Crash angetan hatten,
würde die Herzen schon verhärten, wenn es hart auf hart
ging.
    Wenn es hart auf hart ging… Ich lächelte still in
mich hinein und schlief wieder ein.
    *
    Ich stand vor Boris auf, als die Beleuchtung allmählich
das Tageslichtspektrum des künstlichen Morgens annahm, und
checkte meine C-Mail. (Die elektronische Bandbreite war noch
immer viel zu kostbar und zu stark beeinträchtigt von
multi-redundanten Sicherheitsmaßnahmen, sodass sie
dringenden Nachrichten und Real-Time-Verbindungen vorbehalten
war. Daher die Chemo-Mail.) Ein Teil der Nachrichten war
praktischer, ein Teil persönlicher oder sentimentaler Natur:
damals hatte ich zwar, abgesehen von den verwickelten Beziehungen
zu den Besatzungsmitgliedern, keine Familie, wohl aber
Nachkommen. Ich beantwortete die Briefe, die einer Antwort
bedurften, und sandte die kleinen codierten
Nachrichtenträger in den Kapillaren auf die Reise zu den
Kraterstädten: nach Skuld, Trindr, Igaluk, Valfodr,
Loni… Die Mailbox enthielt nichts, was so dringend gewesen
wäre wie meine Arbeit, daher ließ ich einen Kaffee
für Boris filtern und begab mich in den Einsatzraum.
    Ich kam nur langsam voran. Auf den Gängen drängten
sich die Menschen, und alle wollten anscheinend mit mir reden.
Die Beratung des Komitees und seine Entscheidung sowie die von
den Sonden übermittelten Bilder waren im Glasfasernetz von
Callisto verbreitet worden. Die Diskussionsforen, von den
Monitoren bis zu den Straßen, waren voll davon.
    »… du hast Recht Ellen, wir sollten sie angreifen
und keine Zeit mehr verschwenden…«
    »… haben lange genug gewartet…«
    »…tut mir Leid, das sagen zu müssen, Ellen,
aber ich glaube, dein Vorschlag ist völlig
daneben…«
    »… vergiss die Kometen, wir sollten ein paar
Atombomben abwerfen und sie zerfetzen, die wirken ziemlich
zerbrechlich…«
    »… gib ihnen eine Chance, schließlich waren
nicht sie schuld daran…«
    »… magnetische Felder, hab ich Recht? Also, wenn
man den Pol mit einem starken elektromagnetischen Puls
eindeckt…«
    Meine Sinne wurden bombardiert von ihrer bunten Kleidung,
ihren schönen Gesichtern (wie Recht hatten wir am Anfang
doch gehabt, als wir uns als ›beautiful people‹
bezeichneten); den hartnäckigen, energischen Stimmen; der
Selbstgewissheit, mit der die gegensätzlichen Meinungen
vorgetragen wurden; den eifrigen, ernsthaften Kindern, die
buchstäblich einen Luftsprung taten, um ihr Anliegen
vorzubringen. Auch ich brachte mein Anliegen vor, ging
Diskussionen aber aus dem Weg. Ich war froh über all das,
nicht verärgert. Selbst die, die anderer Meinung waren als
ich, bestärkten mich in meiner Überzeugung, dass ich
Recht hatte: dass dieses selbst erwählte Volk, dieses
Teildestillat der Menschheit, mehr wert war als alles andere im
Universum. Es musste einen Wertmaßstab geben, irgendein
Kriterium, jemanden, für den ›gut‹
gleichbedeutend war mit ›gut für uns‹ –
und das waren wir. Eine Million Menschen von unserer Seite
besaßen mehr Vitalität als die nach Milliarden
zählenden Erdbewohner insgesamt, besaßen
größere Schönheit als irgendwelche hübschen
Bildchen, die die Jupiteraner übermittelten.
    Gleichwohl war die relative Stille der Einsatzzentrale eine
Erleichterung für mich. Es wirkte hier weniger provisorisch
als gestern. Biophil, wie die Weltraumsiedler waren, hatten sie
schnell wachsende Pflanzen mitgebracht, deren Blätter und
Ranken die nährstoffreiche Isolierung bereits teilweise
verdeckten. Jemand hatte eine Kaffeemaschine aufgestellt, und in
den unvermeidlichen Haufen weggeworfener Plastikbecher wuselte es
bereits von den Schaben der Sauberkeit. Die an der Eiswand
tätigen Roboter hatten den Raum über Nacht um
mindestens drei Meter erweitert, und die Regale und gestapelten
Apparate hatten mit ihnen Schritt gehalten. Für die
Nachrichten waren Kameras installiert und liefen auch schon, wie
der Anzug mir mitteilte.
    Mehrere Mitglieder des Kommandokomitees waren anwesend. Einige
waren soeben eingetroffen, der eine oder andere war wohl
über Nacht geblieben. Clarity Hardingham, das jüngste
Mitglied des KK und noch jünger als Yeng, blickte mir
entgegen. Sie hatte sich über ein VR-Display mit einem der
Computerspeicher kurzgeschlossen: der Fokus ihrer Augen und die
Öffnungsweite ihrer grünen Pupillen änderten sich
ständig.

Weitere Kostenlose Bücher