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Die Champagnerkönigin

Die Champagnerkönigin

Titel: Die Champagnerkönigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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habe seine Geburtsstunde miterlebt! Im Le Grand Cerf und in anderen Restaurants und Hotels wurden die feinsten Speisen bestellt, an den Tischen wurde mit Weinwissen jongliert, als gälte es einen Wettbewerb zu gewinnen. Jedes Bett in jedem noch so ärmlichen Gasthaus war ausgebucht, die Hoteliers rieben sich die Hände.
    Es gab jedoch eine Gruppe von Anreisenden – und sie waren in der Überzahl –, die weder Hotelzimmer benötigten noch sich feine Speisen in einem der Restaurants leisten konnten. Sie reisten zu Fuß oder in klapprigen Pferdewagen an und bauten ihre Lager auf jeder freien Wiese, in jedem Hinterhof und auf jeder unbebauten Anhöhe auf. Es waren die Erntehelfer aus verschiedenen europäischen Ländern. Auch Franzosen aus armen Gegenden waren zur Stelle, um sich in der Champagne ein paar Francs dazuzuver­dienen.
    Als Isabelle eines Morgens aus dem Fenster schaute, standen auch auf der hintersten Wiese ihres Gartens drei Pferdewagen. Eine Stunde später waren es schon zehn. Sowohl die verwitterten, fensterlosen Karren als auch die Pferde sahen aus, als hätten sie schon bessere Tage gesehen. Erstaunt beobachtete Isabelle, wie ein paar Frauen mit größter Selbstverständlichkeit in der Mitte der Wagenburg ein Feuer anfachten. Das Holz dafür nahmen sie sich von einem der Stapel, die Claude, wann immer er ein bisschen Zeit hatte, für den Winter herrichtete. Kinder und ein Rudel Hunde rannten kreischend und kläffend herum. Und wenn Isabelle es richtig sah, machten sich ein paar der kleinen Kerle sogar über ihre Brombeeren her. Was fiel den Leuten ein?
    Sie war auf dem Weg nach draußen, um ihnen die Meinung zu sagen, als ihr Claude Bertrand begegnete. »Machen Sie bloß keinen Aufstand«, warnte er. »Über zehntausend Erntehelfer kommen alljährlich zu uns in die Champagne, und irgendwo müssen sie ihre Lager schließlich aufschlagen. Ohne diese Leute könnten wir die Ernte gar nicht bewältigen, Sie sollten also froh sein, dass sie aufgetaucht sind! Und ich gebe Ihnen noch einen Rat: Wenn in den nächsten Tagen ein paar Tomaten oder Eier oder sogar ein Huhn fehlen, sollten Sie ein Auge zudrücken. Treiben es die Leute allerdings gar zu toll, heißt es natürlich einschreiten. Aber in der Regel wissen sie sich zu benehmen.«
    »Dann ist es wohl am besten, wenn ich hingehe und sie begrüße?«, sagte Isabelle kleinlaut, während auf der Wiese die Frauen dabei waren, Wäscheleinen zu spannen. Von den Männern war keiner zu sehen – Isabelle hoffte, dass sie sich wirklich nur ein Huhn holten und nicht gleich ihren Weinkeller leerräumten.
    Claude schüttelte den Kopf. »Das ist nicht nötig. Jede dieser Großfamilien hat ihren Anführer, meist ist es sogar so, dass ein Anführer für mehrere Clans spricht. Er wird auf Sie zukommen und mit Ihnen oder mit Gustave Grosse die Konditionen für die diesjährige Ernte vereinbaren. So ist es üblich, und daran sollten Sie sich halten.«
    »Konditionen?«, hakte Isabelle stirnrunzelnd nach. »Er muss doch nur wissen, wie viele Leute ich benötige und welchen Lohn sie für ihre Arbeit bekommen, oder?«
    »Ganz so einfach ist es leider nicht«, antwortete Claude Bertrand lachend. »Wer so hart arbeitet wie diese Leute, der will am Abend ein bisschen mehr als nur ein Stück trockenes Brot in der Hand halten. Aber das werden Sie alles in den nächsten Tagen herausfinden.« Er tätschelte Isabelles Arm und ging pfeifend davon, seinen Hund wie immer an seiner Seite.
    Abgesehen von der Unruhe, die die vielen Reisenden mit sich brachten, lag noch etwas anderes in der Luft. Etwas Unsichtbares und doch so Intensives, dass man glaubte, es mit den Händen greifen zu können. Wann immer Isabelle in diesen Tagen zu ihrem Morgenspaziergang aufbrach – dieses Ritual hatte sie nach Claras und Josefines Abreise wieder aufgenommen –, sah sie alte Männer durch die umliegenden Weinberge schleichen, gefolgt von jüngeren Leuten. Die prallen Trauben hingen nun so dicht an dicht an den Stängeln, dass man mit den Fingern nicht mehr an ihr Innerstes kam. Das wussten die erfahrenen Männer und zupften lediglich die äußeren Trauben ab, um sie zu drücken und zwischen den Fingern zu zerreiben. Manch einer verließ sich auch auf seine Zunge, wenn es darum ging, den Zuckergehalt der Trauben herauszufinden. Der eine tat’s mit geschlossenen Augen, der andere hatte den Blick gen Himmel gerichtet, als würde Gott der Allmächtige ihm eine Antwort schulden. Stets wurden die Männer

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