Die Champagnerkönigin
Sauberkeit bei der Champagnerherstellung das oberste Gebot ist. Wahrscheinlich haben Sie wieder einmal geschlampt, um schnell fertig zu werden und ein Nickerchen halten zu können.«
Gustave Grosse zuckte ungerührt mit den Schultern. »Wie Sie wünschen, Madame.«
»Im allerletzten Stadium der Reife erhöht sich der Zuckergehalt der Trauben nochmals, was sich äußerst positiv auf den Geschmack auswirkt, wie Sie wissen. Ich rate daher dazu, den Trauben noch zwei, drei Tage Zeit zu lassen«, sagte Daniel eindringlich. Es hätte nicht viel gefehlt, und er hätte flehentlich die Hände gerungen. So oft hatte er in den letzten Tagen auf seine Chefin eingeredet, dass er seine Litanei inzwischen im Schlaf herunterbeten konnte. »Das Wetter wird halten, Sie gehen wirklich kein Risiko ein, das verspreche ich.«
»Du versprichst es!«, wiederholte Henriette höhnisch. »Nicht genug, dass die anderen dich für den lieben Gott halten, jetzt betrachtest du dich also selbst auch schon für allmächtig, ja? Dann ist es höchste Zeit, dass dich jemand wieder auf den Boden der Tatsachen holt.« Sie machte einen Schritt auf ihn zu, so dass ihr Gesicht nur noch wenige Handbreit von seinem entfernt war. Er konnte ihren verdorbenen Atem riechen und die Runzeln rund um ihren Mund sehen. Ihre Augen funkelten, als sie sagte: »Jeder weitere Tag würde uns unnötig Geld kosten. Ich habe die Arbeiter für Punkt zehn Uhr auf dem Weingut einbestellt, und dann wird geerntet!« Mit steifem Rücken und hocherhobenem Kopf rauschte sie davon.
Einen Moment lang schaute Daniel ihr hinterher. Eigentlich hätte er wütend sein müssen. Hätte toben und sich die Haare raufen müssen, weil sie seine Expertise mit einem Handstreich fortwischte wie eine lästige Fliege. Stattdessen verspürte er nur Resignation, gepaart mit etwas anderem, für das er keine Worte fand. War er abgestumpft, weil er in den letzten Jahren zu viele Szenen dieser Art erlebt hatte? Hatten sie dadurch die Macht verloren, sein Innerstes zu berühren? Er erschrak über seine Gedanken. Sollte dies der Fall sein, war es höchste Zeit, dass er sich nach einer anderen Arbeit umsah.
»Du lieber Himmel, welche Laus ist Ihnen denn über die Leber gelaufen? Sie machen ja eine Miene wie sieben Tage Regenwetter«, ertönte es so plötzlich neben ihm, dass er zusammenzuckte.
Isabelle Feininger. Er hatte sie von weitem gesehen, aber nicht kommen hören. Sie trug ein grünkariertes Kleid, dessen Farbe einige Nuancen heller war als die grünen Sprenkel ihrer Augen. Ihre roten Locken hatte sie zu einem nachlässigen Zopf zusammengebunden, der ihr lang über den Rücken fiel. Sie sah wunderschön aus.
»Seit wann sind wir wieder per Sie?«, sagte er mit gespielter Strenge. Zu seinem Vergnügen sah er, wie ein Hauch von Röte in Isabelles Gesicht trat.
»Verzeih, das Du ist noch so ungewohnt.«
»Vielleicht liegt es daran, dass wir uns so selten sehen? Aber um zu deiner Frage zurückzukehren: Die Laus heißt Henriette«, erwiderte er mit einem schrägen Grinsen. »Es ist jedes Jahr dasselbe – Madame Trubert und ich haben unterschiedliche Ansichten über den richtigen Zeitpunkt für den Erntebeginn. Was soll’s, sie ist die Chefin.« Er winkte ab, dann zupfte er eine der Trauben vom Stock und warf sie wütend in hohem Bogen fort.
»Dieselbe Diskussion hatte ich gerade mit meinem Kellermeister! Monsieur Grosse war auch alles andere als amüsiert, als ich ihm sagte, dass wir noch ein, zwei Tage warten«, sagte Isabelle und schlug sich mit gespieltem Schrecken eine Hand vor den Mund. »Sag bitte nicht, ich werde Henriette Trubert ähnlich, sonst stürze ich mich den nächstbesten Berg hinab!«
Ihr gemeinsames Lachen hatte etwas Verschwörerisches, und Daniel spürte, wie sich seine schlechte Laune in Luft auflöste.
»Ich bin mir alles andere als sicher mit dem, was ich tue«, sagte Isabelle, nun wieder ernst. »Und ich kann es kaum abwarten, die erste Ernte zu erleben. Aber mein Gefühl sagt mir, ich sollte den Trauben noch etwas Zeit geben.« Sie zuckte mit den Schultern.
»Dann vertraue deinem Gefühl!«, sagte Daniel rauh. »Hätte ich etwas zu sagen, würde ich es halten wie du, doch leider liegen die Dinge bei uns anders. Deshalb werde ich jetzt zum Weingut Trubert gehen, die Arbeiter, die sie dorthin bestellt hat, abholen und Trauben ernten, die zwei Tage von ihrer Perfektion entfernt sind.«
»Oh«, sagte Isabelle, und in diesem kleinen Wort lag mehr Verständnis und
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