Die Champagnerkönigin
nichts Gutes.
»Sie arbeiten für die Truberts! Es heißt, Henriette habe ihnen einen höheren Lohn versprochen und außerdem jedem Pflücker täglich eine Flasche Wein. Da sind sie gerannt wie die Hasen.« Er schnaubte wütend, doch Isabelle sah, dass der alte Mann vor Schreck ganz blass geworden war.
»Aber … das geht doch nicht! Sie haben ihr Lager auf meinem Grund und Boden aufgeschlagen, also sollen sie gefälligst kommen und ihre Arbeit bei uns verrichten. Sag ihnen, ich zahle genauso viel wie Henriette.«
Claude Bertrands Miene wurde noch verdrießlicher. »Das habe ich den Leuten doch längst gesagt – vergeblich!«
Benommen ließ sich Isabelle auf einem der Grenzsteine nieder, die ihr Land von dem ihrer Nachbarn trennte.
»Und nun?«
»Ich könnte zu Micheline gehen und fragen, ob sie ein paar Männer entbehren kann«, schlug Claude halbherzig vor – der Gedanke erschien ihm wohl alles andere als angenehm. Die Guenins waren bestimmt nicht darauf erpicht, einen Teil ihrer Pflücker herzugeben.
»Vergessen Sie’s! Mit ein paar Mann kommen wir nicht weit«, fiel Gustave Grosse ihm sogleich ins Wort.
»Vielleicht gibt’s unter den fahrenden Leuten doch noch jemanden, der Arbeit sucht?« Claude klang nun wirklich verzweifelt.
»Als ob heute auch nur ein Mann arbeitslos am Lagerfeuer hocken würde.« Grosse spuckte abfällig neben sich auf den Boden.
»Ihre schlauen Sprüche können Sie sich sparen«, herrschte Isabelle den Kellermeister an, der von dem Drama relativ unberührt zu sein schien. »Ich dachte, Sie hätten alles im Griff, und nun das …« Am liebsten hätte sie noch viel mehr gesagt. Dass sie sich fragte, ob er überhaupt irgendwelche Gespräche mit den Pflückern geführt hatte. Womöglich war ihm mehr daran gelegen, gegen sie zu arbeiten als für sie? Doch der Gedanke war zu ungeheuerlich, als dass sie ihn weiterdenken, geschweige denn aussprechen wollte.
Ihre erste Ernte. Und nun drohte sie ins Wasser zu fallen. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie hätte losgeheult. Was sollte sie nur tun? Zu Henriette gehen und sie zur Rede stellen? Die alte Füchsin würde alles mit einer lässigen Geste abtun, so wie damals, als es darum ging, dass sie Jacques’ amerikanische Kunden abgeworben hatte. Isabelle gab einen erstickten Laut von sich. Der Gedanke, dass ihre Arbeiter nun Trubert-Trauben ernteten, während ihre am Stock verrotteten, war fast mehr, als sie ertragen konnte. Ob Daniel wohl davon wusste?
Ihr Blick streifte das Weingut Trubert und wanderte weiter zu den verstreut liegenden Dörfern. Zur Erntezeit, so hatte Claude ihr schon vor Wochen erklärt, waren sie wie ausgestorben. Jeder Mann, jede Frau und jedes Kind war entweder in den eigenen Weinbergen oder in denen eines Onkels oder Nachbarn beschäftigt. Hier würde sie nirgendwo mehr Helfer auftreiben. Hilfesuchend schaute sie zum Himmel. Ach Leon, was würdest du jetzt wohl tun?
Etwas schoss durch ihren Kopf. Noch war es kein Gedanke, sondern etwas viel Vageres. Dann eine Stimme. Ein Satz.
»Falls Sie jemals unsere Hilfe benötigen, sagen Sie Bescheid!« Noch nie hatte sie Hilfe nötiger gehabt als hier und jetzt! Aber wer hatte ihr dieses Angebot gemacht? Und wann und wo war es gewesen? Sie runzelte die Stirn, das Erinnern fiel ihr schwer. Leons Beerdigung … Fremde Männer in Radlermontur. Ein Fahrradclub! Aus … Charleville? Die Radfahrer hatten Leon die letzte Ehre erwiesen.
Ein kleines Lächeln umspielte ihre Lippen, als die Erinnerung einsetzte. Die beiden Männer schauten sie erstaunt an. Was gab es hier und jetzt zu lachen?
Isabelle holte tief Luft, dann sagte sie: »Ich habe eine Idee. Sie ist zugegebenermaßen ziemlich verwegen, aber ich will nichts unversucht lassen, um neue Erntehelfer aufzutreiben.« Sie zeigte auf den Wagen mit den Rebscheren und Körben. »Für heute könnt ihr einpacken, aber mit ein bisschen Glück beginnen wir morgen mit der Ernte. Und nun, Claude, hilf mir bitte auf den Wagen, wir haben einen langen Weg vor uns.«
Die Kutschfahrt ging größtenteils durch flaches Land. Isabelles Rücken schmerzte. Bei jedem Schlagloch fuhr es ihr durch und durch. Claude Bertrand warf ihr immer wieder einen besorgten Blick zu, den Isabelle mit einem tapferen Lächeln erwiderte. Jetzt war nicht die Zeit, weinerlich oder eine Zimperliese zu sein. Sie hatten nur diese eine Chance und keine Zeit zu verlieren. Die Trauben warteten.
In Charleville, einem verschlafenen Städtchen ähnlich groß wie
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