Die Champagnerkönigin
»Aber was macht ein Tag hin oder her aus? Solange das Wetter hält …«
»Wir reden nicht über ein, zwei Tage, sondern über mindestens eine Woche, die wir länger als sonst brauchen!«, erwiderte Claude. »Und sehr lange hält die Schönwetterphase nicht mehr an, ich spüre schon jetzt in meinen Knochen, dass eine Veränderung in der Luft liegt. Und schauen Sie in Richtung Westen – das schmale dunkle Band am Horizont verheißt nichts Gutes. Noch liegt die Schlechtwetterfront weit von uns entfernt, aber das kann sich rasch ändern. Wir brauchen dringend mehr Leute, Madame.«
Sein Hund bellte zustimmend. Isabelle warf ihm eins der Würstchen zu, die für ihren Bohneneintopf bestimmt waren. Verzweifelt schaute sie dann ihren Verwalter an. »Und wo, um Himmels willen, soll ich mehr Pflücker auftreiben?«
Daniels Augen brannten, als hätte er Salzwasser hineingegossen. Seine Arme waren so müde, dass jede Bewegung ihn unendlich viel Kraft kostete. Die Beine waren schwer wie Blei, seine Füße geschwollen, sein Kreuz spürte er schon gar nicht mehr. Auch nahm er die Hektik und den Lärm im Pressenhaus, der ihn Tag und Nacht konstant umgab, schon lange nicht mehr wahr. Der Gedanke, irgendwann wieder acht Stunden am Stück schlafen zu können – ach was, zwei, drei Stunden würden ihm schon reichen! –, war so verführerisch wie nichts anderes. Und doch war er zufrieden und zuversichtlich, als er – wie an den letzten Tagen auch – neben der trubertschen Presse stand und das Einfüllen der Trauben überwachte. Bisher war weder von ihren eigenen Leuten noch von den fremden Pflückern jemand krank geworden, es hatte keine Schlägerei oder sonstigen Ärger gegeben, stattdessen hatten die Männer und Frauen harmonisch und gut miteinander gearbeitet. Mit ein bisschen Glück würden sie die letzten drei, vier Erntetage auch noch gut überstehen. Daniel gähnte und rieb sich die müden Augen, als ihn die Stimme seiner Chefin aus seinen Überlegungen riss.
»Und – bist du zufrieden mit Quantität und Qualität der Trauben?«
Im Halbdunkel des Pressenhauses wandte er sich Henriette zu. »Könnte schlimmer sein«, sagte er schulterzuckend. In Wahrheit war er hochzufrieden mit der diesjährigen Ernte, die Trauben waren fast alle makellos und ihr Aroma vollmundiger als das der letztjährigen Trauben. Aber seine Freude mit Henriette zu teilen war ihm vergällt. Sie war seine Chefin, sie hatte ein Anrecht auf solche Informationen, schalt er sich im selben Moment, was ihn jedoch trotzdem nicht bewog, mehr zu sagen.
Gemeinsam traten sie ins Freie. Nach der dunklen Kühle schmerzten Daniel vom gleißenden Sonnenlicht die übermüdeten Augen. Im selben Moment ertönte über den Hof hinweg ein dumpfer Gong, mit dem während der Ernte bei den Truberts jede Mahlzeit eingeläutet wurde.
»Du siehst aus, als könntest du auch etwas Nahrhaftes vertragen«, sagte Henriette und strich Daniel dabei über den Arm.
»Eine gute Idee«, sagte er, entzog sich jedoch ihrer Berührung. Bei dem Gedanken an Essen knurrte sein Magen laut und heftig, er konnte sich nicht erinnern, wann er das letzte Mal etwas zu sich genommen hatte. Trotzdem blieb er in der Mitte des Hofes noch einmal stehen.
»Seltsam«, murmelte er vor sich hin, während sein Blick über die Weinberge schweifte. »Ein Großteil der Feininger-Reben ist noch immer nicht abgeerntet. Dabei wollte Isabelle Feininger einen Tag nach uns mit der Ernte beginnen.« Lediglich in einem Weinberg nahe ihrem Haus, auf dem Pinot-Meunier-Trauben wuchsen, waren Pflücker zugange, ansonsten lagen die Rebzeilen so verwaist da wie in der Winterzeit. Isabelle … Selbst in der Hektik der Erntezeit hatte sich die Deutsche immer wieder in seine Gedanken geschlichen – ein Umstand, der ihn verwunderte. Von allen Frauen auf dieser Welt würde er sich doch nicht etwa in die Deutsche verlieben?
»So sehr, wie du dich neuerdings für die Witwe interessierst, solltest du eigentlich Bescheid wissen, mein Lieber«, sagte Henriette spöttisch. »Aber ich kläre dich gern darüber auf, woran es der Deutschen derzeit mangelt: Ihr sind die Pflücker davongelaufen. Mit der Handvoll Leute, die sie hat, schafft sie die Ernte nie!« Zufriedenheit, mehr noch, Triumph klang in jedem ihrer Worte mit.
Sein Kopf fuhr ruckartig zu Henriette herum. »Was? Aber wieso …« War l’Allemande denn eine so schreckliche Chefin? Wie eine Menschenschinderin kam Isabelle ihm wahrlich nicht vor. Hatte sie die Männer und
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