Die Champagnerkönigin
größte Sorge. Sicher, das Kind war ruhig und störte kaum, und Ghislaine nahm sie immer gern zu sich, aber Ghislaine würde zum Zeitpunkt der Reise mit ihrem eigenen Kind beschäftigt sein. Isabelle wollte ihr nicht zumuten, sich auch um Margerite kümmern zu müssen.
Umständlich setzte sich Clara in ihrem Sessel zurecht. Als sie aufschaute, zeigte ihr Gesicht einen sonderbaren Ausdruck. »Ich glaube, wir sollten langsam über Margerite reden …«
»Was willst du denn über sie reden?«, fragte Isabelle. Claras Stimme hatte seltsam, geradezu fremd geklungen. Auf ihrer Oberlippe hatte sich plötzlich ein kleiner Schweißbart gebildet, gerade so, als strengte sie etwas fürchterlich an.
Clara beugte sich vor. »Irgendetwas stimmt mit deiner Tochter nicht, du solltest dringend einen Arzt mit ihr aufsuchen. Einen Spezialisten.«
Die Worte kamen so unvermittelt wie ein Peitschenschlag. Isabelle lachte schrill auf.
» Was hast du gerade gesagt?«
Clara schaute sie an und knetete nervös ihre Hände. »Ist dir noch nicht aufgefallen, wie langsam Margerites Reaktionen sind, wenn du sie zum Beispiel kitzelst? Oder wie träge ihr Blick deiner Hand folgt, wenn du Spielzeug vor ihren Augen hin und her bewegst? Normal entwickelte Säuglinge halten ihre Arme meist angewinkelt am Körper, doch Margerites Arme hängen die meiste Zeit schlaff herab. Und dann die Art, wie sie an deiner Brust saugt – ist es nicht so, dass sie ungewöhnlich schnell müde dabei wird?«
»Sag mal, bist du verrückt?«, rief Isabelle heftig. »Du tust ja gerade so, als wäre Margerite behindert, ein Schwachkopf! Das ist nun wirklich der größte Blödsinn, den ich je gehört habe.« Noch während sie sprach, spürte sie, wie eine eisige Kälte ihren Rücken hinabkroch. Sie hatte das Gefühl, auf der Stelle verrückt zu werden.
»Isabelle, bitte … Ich … ich sage das doch nicht aus Spaß und einer Laune heraus! Deine Margerite ist ein wunderhübsches Mädchen. Und ich liebe sie, als wäre sie meine Tochter«, sagte Clara unglücklich. »Aber die Art, wie ihre Augen weiter als üblich auseinanderstehen, die flache Nase, der kleine Mund – all das sind Anzeichen für … eine ganz bestimmte Krankheit. Ich bin zwar nur die Frau eines Arztes, aber –«
»Stimmt genau!«, fiel Isabelle ihr ins Wort. »Du bist nur die Frau eines Arztes, was weißt du also schon? Schwingst hier große Reden und jagst mir einen fürchterlichen Schrecken ein, abgrundtief gemein ist das!« Hasserfüllt schaute sie die Freundin an. »Was kann denn ich dafür, dass dein Matthias als Säugling Tag und Nacht geschrien hat? Ich erinnere mich noch genau, wie verzweifelt du damals warst. Mit nichts hast du ihn beruhigen können. An manchen Tagen war sein Schreien so schlimm, dass du ihn zu deiner Mutter gebracht hast, weil du es nicht länger ertrugst. Ist das der Grund für deine Missgunst? Meine Margerite ist eben ein besonders liebes Kind! Und eine Schönheit ist sie obendrein. Von wegen weit auseinanderstehende Augen und kleine Nase – wären dir eine Höckernase und eng beieinanderstehende Hexenaugen lieber?« Am ganzen Körper bebend, stand Isabelle auf. »Du kommst hierher, bist Gast in meinem Haus und stichst mir einen Dolch ins Herz? Mit allem habe ich gerechnet, nur damit nicht. Wenn das deine Art von Freundschaft ist, dann vielen Dank dafür!« Schluchzend wandte sie sich ab und ging ins Nebenzimmer, wo sie Margerite aus ihrer Wiege hob. Dann rannte sie mit dem Kind und ohne ein weiteres Wort hinauf in ihr Schlafzimmer.
39. Kapitel
Die Tage bis zu Claras Abreise wurden unerträglich. Die beiden Freundinnen sprachen so gut wie nicht mehr miteinander und gingen sich aus dem Weg, soweit dies möglich war. Über Margerite wurde ebenfalls kein Wort mehr verloren, und Isabelle sorgte dafür, dass Clara ihr Kind nicht mehr zu Gesicht bekam. Alles hätte sie ihrer Freundin verzeihen können, nur solche Reden nicht.
Als der fünfte März und somit der Tag von Claras Abreise anbrach, waren beide mehr als erleichtert. Tränenerstickt flüsterte Clara eine Entschuldigung, doch Isabelle wollte sie nicht hören.
Claras Kutsche war gerade auf die Hauptstraße abgebogen, als Isabelle Claude Bertrand zu sich rief.
»Bitte schirren Sie die Pferde ein, ich muss nach Épernay ins Krankenhaus«, sagte sie.
»Madame, Sie sind doch hoffentlich nicht krank? Oder etwa die kleine Margerite?«
Isabelles versteinerte Miene wurde angesichts der sorgenvollen Runzeln um die Augen
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