Die Champagnerkönigin
des Verwalters einen Moment lang weich.
»Es ist bestimmt alles in Ordnung«, antwortete sie leise. Zu ihrem eigenen Unmut klang sie dabei nicht so überzeugend, wie sie es sich gewünscht hätte.
»Ich bin kein Spezialist für Kinder dieser Art«, sagte der Arzt, als Isabelle und er sich an seinem Schreibtisch gegenübersaßen. »Aber bei Ihrer Tochter könnte in der Tat eine Entwicklungsverzögerung vorliegen.«
»Und was heißt das?« Isabelle runzelte die Stirn. Kinder dieser Art?
Über eine Stunde lang hatte der Arzt ihre Tochter untersucht. Hatte ihr mit einem metallenen Hämmerchen auf beide Knie geklopft, was sie nicht sonderlich zu stören schien. Hatte ihr mit einer Lampe in die Augen geschaut, ihren Kopfumfang vermessen, sie in den Arm gezwickt, bis sie schrie.
»Seltsam, sie klingt wie ein kleines Kätzchen, das man vor dem Ertrinken retten muss«, hatte er daraufhin gesagt.
Isabelle hatte der Schwester, die Margerite während der Untersuchungen hielt, das Kind eiligst abgenommen. »Jedes Kind, das so gezwickt wird, schreit«, sagte sie aufgebracht.
»Woran soll meine Tochter Ihrer Ansicht nach leiden?«, fragte sie jetzt.
Der Arzt hob seine Schultern. »Zu diesem Zeitpunkt kann ich nur eine Annäherungsdiagnose stellen, Madame. Ich rate Ihnen, einen Spezialisten aufzusuchen, der sich ausführlich mit dem Down-Syndrom beschäftigt.«
»Down-Syndrom?« Isabelles Sorgenfalte auf der Stirn wurde tiefer. »Sie wissen nicht, was Margerite hat, aber einen Namen für diese unbekannte Krankheit haben Sie? Wie soll ich das verstehen?«
»Noch steht nicht eindeutig fest, dass Ihre Tochter unter diesem Syndrom leidet«, wiegelte der Arzt eilig ab. »Es gibt gewisse Anzeichen, mehr nicht …« Er schnappte sich einen Bogen Papier und tauchte seine Feder ins offene Tintenfass. »Am besten schreibe ich Ihnen die Adresse des Spezialisten auf. Mit einer Empfehlung meinerseits bekommen Sie bestimmt bald einen Termin. Die Rechnung für die Visite bei mir lege ich Ihnen auch gleich bei.«
Der Spezialist befand sich in Reims. Isabelle suchte ihn gleich am nächsten Tag auf. Termin hin oder her, sie würde die altertümliche Praxis erst verlassen, nachdem der Doktor sich ihr Kind angesehen hatte, sagte sie zu der Dame, die hinter dem Empfangstresen saß. Drei Stunden musste sie warten, während in der Praxis ein stetes Kommen und Gehen herrschte. Wie in Trance saß Isabelle da, Margerite in ihren Armen wiegend, und bekam nur am Rande mit, wie Mütter mit ihren Kindern das Wartezimmer betraten und wieder verließen. Ein etwa dreijähriger Junge mit unförmig großem Kopf, der die ganze Zeit vor sich hin schluchzte. Ein Mädchen ungefähr im selben Alter, das ständig mit dem Oberkörper wippte und seltsame Geräusche von sich gab. Ihm war eindeutig anzusehen, dass es nicht normal war. Eine andere Frau trug ebenfalls einen kleinen Säugling auf dem Arm. An der Art, wie sie immer wieder zu Isabelle hinüberblickte, war deutlich zu erkennen, dass sie sich ein Gespräch gewünscht hätte. Doch Isabelle schaute demonstrativ aus dem Fenster. Das alles hier ging sie nichts an.
»Margerites Herz scheint in Ordnung zu sein«, sagte Doktor Rainier Martin, nachdem er den Herzschlag des Mädchens abgehört hatte.
Isabelle presste die Lippen aufeinander. Wegen eines Herzfehlers war sie auch nicht hergekommen. Mit Argusaugen beobachtete sie, wie der Arzt ihre Tochter weiter untersuchte. Zum Teil waren seine Untersuchungen die gleichen wie die des Arztes in Épernay, doch Martin hörte außerdem den Herzschlag des Mädchens ab, tastete eine halbe Ewigkeit an ihrem Kopf herum und vermaß ihre Glieder. Zu Isabelles Entsetzen steckte er dann auch noch seinen kleinen rechten Finger in Margerites Mund, um ihren Saugreflex zu testen. Das arme Kind begann daraufhin fürchterlich zu prusten und dann zu weinen, wie konnte es auch anders sein?
Nachdem er seine Untersuchungen abgeschlossen hatte, bat Doktor Martin Isabelle an seinen Schreibtisch.
»Darf ich Sie bitten, mir die genauen Umstände von Margerites Geburt zu beschreiben?«
Mit blecherner Stimme hob Isabelle an, die Qualen der Weihnachtsnacht zu schildern. Der Arzt machte sich eifrig Notizen. Als Isabelle zum Ende gekommen war, schaute er auf.
»Eine schwere Geburt. Aber ich glaube nicht, dass sie ursächlich für die Probleme Ihrer Tochter ist. Ein englischer Arzt mit dem Namen John Langdon-Down hat vor gut dreißig Jahren zum ersten Mal die klassischen Symptome des
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