Die Champagnerkönigin
Speiseröhre.
»Zu den geistigen Schwierigkeiten gesellen sich gesundheitliche, wie beispielsweise Atemwegserkrankungen und Blutkrebs.«
Blutkrebs – was um alles in der Welt musste man sich darunter vorstellen? Ein hässliches Wort. Vielleicht Blässe im Gesicht … Durchscheinende blaue Adern. Ein Blatt im Wind.
Aus Isabelles Kehle entfloh ein erstickter Laut. Ob ihr Kind überhaupt je würde sprechen können? Tränen liefen über ihr Gesicht, sie machte sich nicht die Mühe, sie fortzuwischen. Nichts zählte mehr.
»Für schwere Fälle gibt es inzwischen ausgezeichnete Heilerziehungsanstalten …«
Isabelles Herz krampfte sich zusammen. Nie, niemals , würde sie Margerite fortgeben. Das wäre, als würde sie sich von ihrem rechten Arm trennen. Oder ihrem Bein. Oder so, als würde ihr jemand Leon aus dem Herzen schneiden. Margerite war sein Vermächtnis an sie, genau wie das Weingut.
Das Weingut. Gerade noch war alles gut gewesen. Sie hatte Hoffnung geschöpft. Jetzt ging es aufwärts! Und nun …
Ein weiterer Kampf.
Und sie war wieder allein. Ob sie die Kraft haben würde, alles, was kam, durchzustehen?
Lieber Gott, bitte mach, dass das nur ein böser Traum ist. Warum tust du mir das an? Warum ich? Was habe ich verbrochen, dass du mich so fürchterlich bestrafst? Was hat Margerite verbrochen? Sie ist doch noch so klein, ein Engel …
Die schweren Arbeiten im letzten Herbst! Isabelle stellte ihr Weinglas so hart auf der Marmorplatte des Nachttischs ab, dass ein kleines Stück Glas vom Boden absplitterte.
Die Stunden mit der Hacke in dem brachliegenden Weinberg. Ständig war ihr der dicke Bauch im Weg gewesen. Kleine scharfe Stiche waren ihr in den Rücken geschossen. Sie hatte die Zähne zusammengebissen. Dabei hätte sie sich schonen müssen! Jeder hat ihr das gesagt. Aber sie hatte nicht hören wollen, hatte wieder einmal alles besser gewusst. Gute Ratschläge konnten die Leute jemand anderem geben. Das Geschäft ging schließlich vor!
Und nun? Was würde nun aus dem Geschäft werden? Würde sie überhaupt noch Zeit haben für irgendetwas, was nicht mit Margerites Pflege zusammenhing?
Vielleicht, wenn man früher etwas getan hätte? Gleich nach der Geburt? Wie hieß der Spezialist in Paris? Fraudand. Sie musste ihn aufsuchen. Die Ärzte in Reims und Épernay hatten keine Ahnung.
Der Rotz rann aus Isabelles Nase, sie bekam kaum mehr Luft. Achtlos wischte sie mit dem Kleiderärmel das Gröbste fort. Trank noch einen Schluck, während es draußen Nacht wurde.
Vielleicht war alles doch nicht so schlimm. Und die Ärzte, die Wichtigtuer, hatten ihr nur einen Schrecken eingejagt.
Bitte, lieber Gott …
Die Geburt. Hier in diesem Zimmer. Isabelle konnte noch das Blut und das Geburtswasser riechen. Die vielen Stunden, in denen sie vergeblich versucht hatte, das Kind aus sich hinauszupressen. Ob Margerite da Schaden genommen hatte? Der Reimser Arzt hatte dies verneint, er hatte von »Vererbung« gesprochen.
Isabelle kniff die Augen so fest zusammen, dass es weh tat. Und was, wenn es doch ihre Schuld war? Warum war sie nicht viel früher ins Krankenhaus nach Épernay gegangen? Warum hatte sie dieses Risiko eingehen müssen? Andererseits hatte die Hebamme für die Geburt erst den fünften Januar ausgerechnet, niemand hatte erwartet, dass es am Heiligen Abend losgehen würde.
So viele Fehler. Wie konnte eine einzige Frau so viele Fehler machen? Bitte, lieber Gott, wenn es dich gibt, dann bestrafe mich. Und verschone dieses Kind.
Irgendwann schlief Isabelle ein. Es war ein unruhiger Schlaf, aus dem sie nach zwölf Stunden wie gerädert aufwachte. Ihr Kopf schmerzte, ihre Schultern waren verspannt, und ihr Brustkorb fühlte sich eng an. Sie hatte die Augen noch nicht ganz geöffnet, als die Geister der letzten Nacht zu ihr zurückkamen. Ihr Blick fiel auf die beiden leeren Flaschen, die rote Ränder auf dem weißen Marmor des Nachttisches hinterlassen hatten.
Sie hatte sich betrinken wollen, hatte gehofft, dadurch der Wahrheit entfliehen zu können. Nicht denken. Nicht fühlen. So tun, als wäre alles wie zuvor. Noch eine dumme Idee von ihr. Wenn es jetzt um eines ging, dann darum, einen klaren Kopf zu bewahren und die eigenen Kräfte nicht weiter zu vergeuden. Mit einem Hauch ihrer früheren Energie stand sie auf.
Margerite brauchte sie.
Zufrieden blickte Daniel auf die riesigen Kessel, die in der mittleren Kellerebene standen. Sie waren allesamt randvoll mit einer roséfarbenen Flüssigkeit. Die
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