Die Champagnerkönigin
in deiner Abwesenheit um alles kümmern.«
An Daniels Brust gedrückt, sah Isabelle aus dem Augenwinkel, wie Claude die beiden Pferde aus dem Stall führte. Gleich würde er sie vor den Wagen spannen und vorfahren. Auf einmal wurde der Abschiedsschmerz unerträglich. Was hätte sie darum gegeben, einfach in Daniels Armen verharren zu können! Doch gleichzeitig lösten sich all ihre Zweifel, die sie bisher hinsichtlich der bevorstehenden Reise gehegt hatte, angesichts der neuen Bedrohung schlagartig in Luft auf. Ihr Trennungsschmerz, ihre Ängste – das alles musste sie vergessen. Sie holte tief Luft und sagte: »Du hast recht, von einer winzigen Laus lassen wir uns nicht unterkriegen. Jetzt werde ich mich beim Champagnerverkauf besonders anstrengen. Bei unserem Vorhaben benötigen wir jeden Franc, den ich mit nach Hause bringe.«
41. Kapitel
Champagnerrechnung aus dem Jahr 1895
»Lauf! Lauf! Nun lauf doch, du dummer Gaul!«
»Schneller, White Princess!«
»Lauf, Jolly Joker, noch ein paar Meter …«
Händeringend und wie die anderen Rennbahnbesucher laut ihren Favoriten anfeuernd, stand Isabelle auf der Ehrentribüne der Wiener Galopprennbahn Freudenau. Für die Schönheiten der Anlage mit ihren vielen gusseisernen Elementen hatte sie ebenso wenig einen Blick wie für den traumhaften Maitag, der das Renngeschehen mit Sonnenschein und blauem Himmel begleitete. Das landschaftlich reizvolle Auengebiet, in dem sich die Anlage befand, interessierte Isabelle ebenfalls nicht – so sehr fesselte sie das Geschehen auf der Rennbahn. Es roch nach Sägemehl und dem Schweiß der Pferde, nach teurem Parfüm und wilder Aufregung. Alles zusammen ergab einen so berauschenden Duftcocktail, dass ihr ganz schwindlig wurde. Dabei hatte Raymond sie bei ihrer Ankunft auf der Rennbahn regelrecht nötigen müssen, ein paar Münzen auf einen der Galopper zu setzen. Um nicht als Spielverderber dazustehen, hatte sie einfach eine Stute mit einem besonders schönen Namen ausgewählt. Nun sah es so aus, als würde »White Princess« tatsächlich das Rennen machen.
Nur noch wenige Meter trennten die Schimmelstute von der Ziellinie. Weißer Schaum flog in kleinen Wölkchen aus ihrem Maul, während der Jockey das Tier mit seiner Peitsche unaufhaltsam antrieb.
»Lauf, weiße Prinzessin, lauf!«, kreischte Isabelle und krallte ihre Hand vor Aufregung in Raymonds rechten Arm. Auch die anderen Damen hatten längst ihre Contenance verloren, wie Kinder hüpften sie von einem Bein aufs andere, jubelten oder schimpften, je nachdem, auf welches Pferd sie gesetzt hatten. Die Herren gaben sich lässiger. Doch wenn man genau hinschaute, sah man, wie sie die Griffe ihrer Spazierstöcke so fest umklammerten, dass das Weiße an ihren Knöcheln hervortrat. Manch einer zog so gierig an seiner Zigarre, dass die Asche auf sein Jackett fiel. Gläser mit Hochprozentigem wurden geleert und wütend auf die weiße Balustrade geknallt, wenn absehbar war, dass der eigene Favorit nicht als Erster ins Ziel kommen würde. Immer wieder rannte jemand in Richtung Totalisator davon, um fürs nächste Rennen eine neue Wette einzugehen.
Am Ende des letzten Rennens für diesen Tag raste Jolly Joker als Erster über die Ziellinie, die weiße Prinzessin kam auf Platz zwei. Isabelle strahlte dennoch. Nie hätte sie gedacht, dass ein Besuch auf der Pferderennbahn so spannend sein könnte.
»Was für ein Heidenspaß!«, sagte die Inhaberin des Hotels Imperial und fuhr sich mit ihrer behandschuhten Hand über die geröteten Wangen. »Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich mich das letzte Mal so gut unterhalten gefühlt habe. Vielleicht sollte ich mein Kontor öfter mal verlassen?« Sie kicherte mädchenhaft.
Ihre Freundin, die Gräfin Esterhazy, nickte zustimmend. »Da muss ein Franzose kommen, um uns aus unserem Elfenbeinturm herauszuholen.« In einer spontanen Geste drückte sie Raymond Duponts Arm. »Kein Wunder, dass wir uns jedes Mal so sehr auf Ihren Besuch freuen. Sie haben doch immer wieder etwas Neues im Sinn.«
»Wenn Sie das sagen«, erwiderte Raymond charmant und bescheiden zugleich. Dann schaute er in die Runde, die er an diesem Nachmittag um sich versammelt hatte. »Darf ich die Damen und Herren zu einer kleinen Erfrischung einladen? Im ›Café Spitzer‹ gibt es frischen Erdbeerkuchen. Und dazu ein Glas Champagner?«
Isabelle lächelte, während Raymond beiden Damen seine Arme anbot und sie in Richtung des eleganten Cafés am Rande der
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