Die Champagnerkönigin
dritte Tür. Hier wohnte ein Küfer, verriet das Eisenschild mit dem abgebildeten Weinfass.
»Sie kommen aus Deutschland? Berlin …« Carla Chapron, die Frau des Küfers, seufzte genießerisch, als sähe sie vor ihrem inneren Auge die verführerischsten Bilder.
Isabelle nippte ebenso genießerisch an dem Mocca, den die Frau ihr sogleich angeboten hatte. Sie saßen in einem sonnigen Salon, der ähnlich eingerichtet war wie jener von Leons Onkel Jacques. Auf dem runden Tischchen vor ihnen stand ein Teller mit Gebäck, so fein, wie Isabelle noch keins gegessen hatte. Paris Macarons hießen diese Kekse, sie seien eine Leibspeise des französischen Königs und eine ihrer Spezialitäten, erklärte die Küferfrau ihr stolz.
»Treffen sich in Berlin nicht ständig Kaiser und Könige?«, fragte sie dann und beugte sich wissbegierig ihrem Gast entgegen.
Isabelle wischte sich einen Keksbrösel von den Lippen. »Das stimmt. Einmal waren meine Eltern und ich sogar zu einem Fest beim Kaiser eingeladen.«
Gebannt hörte Carla Chapron zu, wie Isabelle eine Geschichte nach der anderen zum Besten gab.
Früher war es für sie oft ein Graus gewesen, die Berliner Feste besuchen zu müssen. Auf jedes Wort, jede Geste achten zu müssen, immer perfekt hergerichtet zu erscheinen, so dass ihr Vater nur ja nichts an ihr auszusetzen hatte, war sehr anstrengend gewesen. Doch nun kam Isabelle geradezu ins Schwärmen. Eine Stunde war bereits vergangen, als sie bedauernd sagte: »Ich erzähle gern ein andermal mehr, doch nun muss ich weiter. Bevor mein Mann nach Hause kommt, möchte ich mich noch bei mindestens einem weiteren Nachbarn vorgestellt haben.« Sie wies auf ein kleines Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite, das einen eher ungepflegten Eindruck machte.
»Sie wollen la Maîtresse besuchen? Dann vergewissern Sie sich aber zuvor, dass Ghislaine keinen Herrenbesuch hat«, sagte sie mit spitzer Stimme.
»Eine Mätresse, hier bei uns in der Straße? Ich verstehe nicht …«, sagte Isabelle stirnrunzelnd. Anstatt zu gehen, nahm sie wieder auf dem weinroten Sofa Platz. »Vielleicht ist es an der Zeit, dass Sie mir ein wenig erzählen.«
1 0. Kapitel
Die Sonne war schon hinter den sanften Hügeln der Montagne de Reims untergegangen, als Leon nach Hause kam. Isabelle stürzte ihm mit wehendem Haar entgegen und warf sich ihm an den Hals.
»Und? Wie viele Kisten Champagner hast du verkaufen können? Haben wir wieder ein bisschen Geld?«
Lachend machte sich Leon von ihr frei und stellte sein Rad unter dem Dachvorsprung ab. Sein Magen knurrte vernehmlich, als er Hand in Hand mit Isabelle in Richtung Küche steuerte.
»Besser hätte es gar nicht gehen können.«
Isabelle grinste. »Ich wusste, dass du ein guter Verkäufer sein wirst! Bestimmt haben sie dir den Champagner aus den Händen gerissen. Nun erzähl schon!«
»Später, mein Schatz, sag mir lieber, was es Gutes zu essen gibt.«
»Gutes zu essen?«, piepste Isabelle. »Zum Kochen bin ich ehrlich gesagt nicht gekommen. Aber stell dir vor, was ich alles erfahren habe – in unserer Straße wohnt eine echte Mätresse!«
Leon gab ihr einen Kuss auf die Nasenspitze. »Deine Klatschgeschichten kannst du mir ein andermal erzählen, komm, lass uns essen gehen, ins Le Grand Cerf . Claude Bertrand sagte gestern, dort gäbe es gute Hausmannskost.« Schon zog er die Jacke, die er gerade erst fortgelegt hatte, wieder an. »Laut Claude trifft sich dort abends das ganze Dorf, so lernen wir gleich ein paar Leute kennen.«
Isabelle zögerte, als er ihr ihren Mantel hinhielt. »Ich denke, wir müssen sparen! Können wir uns das denn überhaupt leisten?«
Er winkte lässig ab. »Ich werde meine Frau doch zur Feier des Tages zum Essen einladen können. Also wirklich, Liebling, du stellst Fragen!«
Leon war schon in vielen Dorfkneipen gewesen. Die meisten waren freudlose, düstere Kaschemmen, in denen sich ein paar Dauertrinker die Zeit vertrieben und wo es säuerlich nach benutzten Geschirrtüchern und nach Tabakqualm roch. Meist hatte er auf seinen Radtouren immer nur kurz haltgemacht, um ein Bier zu trinken oder eine günstige Mahlzeit hinunterzuschlingen, falls der Wirt sich überhaupt die Mühe machte, seinen Gästen etwas Essbares anzubieten.
Umso erstaunter war Leon, als er nun die Tür des Hautvillers Dorfgasthofs öffnete und von einer freundlichen, einladenden Atmosphäre empfangen wurde. Statt langer Tafeln gab es kleine runde Tische mit feinen Tischdecken, um die
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