Die Chance seines Lebens
Küche.
Sein Bruder folgte ihm aus dem Wohnzimmer, riss das Handtuch herunter und betrachtete das Auge. „Nicht so schlimm! Muss nicht genäht werden, ist nur ein wenig aufgeplatzt.“ Und schon verschwand er wieder ins Wohnzimmer und warf sich in seinen Sessel vor dem Fernseher.
Sein Vater grinste Nico schief an und tat es seinem älteren Sohn gleich. „Welch abgefuckter Tag!“, flüsterte Nico.
Dieser stand mit hängenden Schultern in der Küche und wusste nicht weiter. Das Handtuch presste er sich noch immer gegen sein Auge. Dann öffnete er den Kühlschrank und holte sich ein Bier heraus. Er brauchte etwas gegen die Schmerzen. Sein Vater ließ sich nicht mehr sehen, und Nico blieb in der Küche sitzen. Er rauchte eine Zigarette und kleine Kringel schwebten in der Luft. Mit der Zeit hörte es auf, zu bluten. Nico säuberte nochmals vorsichtig sein Gesicht. Mit so einem Auge konnte er nicht rausgehen. Er holte seine Sonnenbrille und setzte sie vor dem Spiegel auf. Genau! Das könnte funktionieren! Es würde keinem auffallen, solange er die Brille nicht absetzte. Er fragte seinen Vater, ob er raus könnte.
Sein Vater nickte, und Nico verließ die Wohnung. Er verstand nicht, warum sein Vater heute so hart reagiert hatte.
Langsam schlenderte er zum Treffpunkt. Heruntergefallener Mörtel bedeckte den Hausflur, einzelne Kabel hingen hinunter, und ganze Mauersteine lagen umher. Er stieg darüber. Eine Etage höher öffnete er die verschlossene Tür und ging hinein. Zufrieden betrachtete er das große Zimmer, was sie sich hergerichtet hatten. Das war sein Zufluchtsort, und hier hatte er das Sagen. Er öffnete die Kühlschranktür und holte sich ein kaltes Bier heraus. Die Musik dröhnte laut aus den Boxen. Nico legte sich auf die Couch.
Langsam trudelten Deniz und Thomas ein. Auch sie durften sich ein Bier aus dem Kühlschrank holen und setzten sich zu Nico.
„Warum legst du deine Sonnenbrille nicht ab, hier ist es doch gar nicht so hell“, wunderte sich Deniz.
„Hey, lass mich in Ruhe, wenn ich die Brille aufhabe, dann habe ich sie auf! Außerdem sieht es cool aus.“
Die Jungen sprachen kein Wort mehr. Jeder hing seinen Gedanken nach, bis Nico die Stille durchbrach: „Ende des Monats werden wir das Ding mit dem Kiosk drehen. Richtet euch darauf ein!“
Die Jungen nickten.
Thomas war es gar nicht wohl dabei. Er hatte noch nie eingebrochen. Schmiere stehen war was anderes, als direkt einzubrechen. Es musste ihm unbedingt noch eine Ausrede einfallen.
Als wenn Nico dies ahnte, sagte er in diesem Moment: „Und wehe es kommt keiner von euch Pennern, dann werde ich richtig sauer! Ich akzeptiere keine Ausreden!“ Nico fixierte jeden Einzelnen.
Thomas sah verlegen zur Seite.
An diesem Tag gammelten sie in ihrer Unterkunft herum, hörten Musik und quatschten.
„Eigentlich könnten wir uns alle ein Tattoo stechen lassen“, meinte gerade Nico. „Komm wir schauen im Internet nach einer passenden Zeichnung für unsere Gang.“
Thomas klappte seinen Laptop auf und die Jungen suchten nach einem Bild. Aber sie konnten sich nicht einigen.
Gegen Abend machten sie sich wieder auf den Weg nach Hause.
Thomas ging grübelnd den langen Weg zu Fuß. Er brauchte Zeit zum Überlegen. Und wenn sie erwischt würden, das fragte er sich immer wieder. Er hatte wirklich Angst. Auf was hatte er sich da eingelassen? Bisher hatte er damit nichts zu tun, denn Nico hatte die Sachen angeschleppt. Aber wegschauen ist fast das Gleiche , dachte er sich.
Die letzten zwei Wochen hatten es wirklich in sich gehabt. Morgens Unterricht, nachmittags üben und immer wieder üben. Frau Sommer war hart, aber auch fair. Sie wusste genau, wie weit sie bei jedem gehen konnte. Heute waren sie später dran, als erwartet und kamen genau an der Bushaltestelle an, als der Bus gerade losfuhr.
„Mist, jetzt können wir eine halbe Stunde warten oder die ganze Strecke laufen! Was machen wir?“
„Ich muss zu Hause sein, bevor mein Vater kommt“, sagte Fabian, „also werde ich laufen.“
„Na gut, wir gehen mit, denn bis der nächste Bus kommt, sind wir auch zu Hause.“
Die Jugendlichen liefen los.
„Manchmal kann Frau Sommer ganz schön nerven“, meinte Romina. „Romina mach keinen Buckel, Romina sei graziös!“ Sie lachten.
Yasmina kratzte sich an der Nase. „Mir geht es auch so. Sie schimpft viel öfter mit mir als mit euch. ‚Yasmina erhebe deine Stimme, sonst kann dich kein Mensch hören! Yasmina lege doch mehr Gefühl hinein!
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