Die Chance seines Lebens
großen Traum konnte er begraben. Die einzige Chance, die er je gehabt hatte, war vertan. Ohne Geige konnte er nicht spielen. Seine Eltern besaßen keine Kohle für eine neue Geige. Sein Vater war lange arbeitslos gewesen. Außerdem war sein Vater immer dagegen gewesen. Er wäre froh, dass Fabian keine Geige mehr hatte. Seine Schritte wurden jetzt noch schleppender, als hätte er eine schwere Last zu tragen.
„Bullshit“, fluchte er leise vor sich hin.
Yasmina und Romina sprachen immer wieder über den Vorfall. Was konnten sie tun? Wie konnten sie Fabian helfen? Ausgerechnet Fabian musste seinen Traum begraben.
„Das ist so unfair!“, wütete Romina. „Er hat so viel Talent und eine so wunderbare Begabung. Und jetzt soll es für ihn vorbei sein? Das kann ich einfach nicht akzeptieren. Dieser verfluchte Loser.“
„Was willst du machen?“, fragte Yasmina. „Ohne Instrument kann er nicht spielen.“
„Ich weiß, es muss irgendetwas geben, was wir unternehmen können. Wir müssen ihm einfach helfen.“
„Aber wie?“
Romina zuckte nur mit ihren Schultern. Schweigend gingen sie weiter. Jede in ihre eigenen Gedanken versunken.
Fabian schleppte sich inzwischen die Stufen nach oben. Er öffnete die Wohnungstür und ging in sein Zimmer. Er strich zum letzten Mal über seine geliebte Geige und stellte sie dann in seinen Schrank. Er schloss ab und legte sich auf sein Bett. Er hörte nicht, wie sein Vater sein Zimmer betrat.
„Was ist los? Warum liegst du auf dem Bett? Geht es dir nicht gut?“
Fabian sah seinen Vater nicht an, sondern nickte nur.
„Dann bleib liegen, und ich fahre lieber allein ins Krankenhaus. Nicht, dass du deine Mutter noch ansteckst!“ Fabian war es recht. Dann verließ sein Vater das Zimmer. Fabian hörte, wie die Tür ins Schloss fiel. Jetzt war er allein und hatte seine Ruhe. Unruhige Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf. Warum sollte er eigentlich noch leben? Das ganze Leben hatte einfach keinen Sinn mehr für ihn. Er hatte mit der Geige alles verloren, woran er glaubte, was er erhoffte. Einfach alles. Wozu also noch? Warum sollte er sich das länger antun? Er war sowieso ein Krüppel und würde es ja immer bleiben. Eine Freundin würde er nie haben. Er würde immer gehänselt und geärgert werden. Jetzt und auch später! Also, warum nicht gleich? Dann hättest du deine Ruhe , flüsterte eine leise Stimme in sein Ohr. Geh jetzt, jetzt ist doch keiner da. Es vermisst dich niemand, geh einfach! Fabian setzte sich auf. Stimmte ja, es vermisste ihn niemand.
Fabian schlurfte ins Badezimmer. Er öffnete den Badezimmerschrank und betrachtete die unzähligen Schachteln und Flaschen mit Medikamenten. Er ergriff eine Schachtel und las sich die Beschreibung durch. Plötzlich ertönte eine leise Stimme in seinem Kopf. Was ist mit deiner Mutter? Mit großen erschrockenen Augen blickte er sich im Spiegel an. Genau, seine Mutter! Sie würde ihn vermissen. Sie würde die Aufregung nicht vertragen, wenn er sterben würde. Lange stand er vor dem Spiegel und sah sich an. Dann nahm er die Packung und legte sie wieder in den Badezimmerschrank. Nein, das konnte er seiner Mutter nicht antun!
Fabian zog sich aus, ging unter die Dusche und spülte seine dunklen Gedanken mit dem Wasser weg. Anschließend rubbelte er sich so fest trocken, dass seine Haut krebsrot wurde. Fabian zog die Vorhänge zu und schlüpfte ins Bett. Morgen sah die Sache sicherlich ganz anders aus. Das Leben ging weiter. Schlaf würde ihm helfen. Vorsorglich hatte er eine Schlaftablette genommen, denn der Schock saß ihm noch tief in den Knochen. Er kuschelte sich in seine Decke. Seine Katze lag zu seinen Füßen.
Aus dem Krankenhaus zurück, betrat sein Vater die stille Wohnung. Diese Ruhe hatte er eigentlich nie so gespürt, wie heute. Unmenschlich still! Auf einmal packte ihn Angst.
Er ging in das Zimmer seines Sohnes. Dunkel war es, kein Lichtstrahl drang herein. Angstvoll trat er neben das Bett und schaute auf seinen Sohn herab.
Friedlich schlief Fabian.
Er sah, wie sich der Brustkorb hob und senkte. Ein Stein fiel ihm von Herzen. Sacht strich er über seinen Kopf. Er hatte wirklich zu wenig Zeit für ihn. Er konnte sich gar nicht mehr daran erinnern, wann sie das letzte Mal ein richtiges Gespräch geführt hatten. Was war geschehen, wann war die Verbindung zwischen ihnen abgerissen? Das musste sich ändern, nahm er sich fest vor. Leise schloss er die Tür.
Romina war durcheinander und sehr wütend. Sie konnte
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