Die Chancellor
hat man stets zu fürchten, und muß jenen eine ei-
serne Disziplin entgegensetzen.
3 Tage sind verflossen, ohne daß mir etwas Bemer-
kenswertes aufgefallen wäre. An Robert Kurtis erkenne
ich jedoch Zeichen von Ungeduld, was mich bei einem
Mann, der seiner so sehr Herr ist, wie er, desto mehr
verwundert; dennoch scheint mir Kapitän Huntly in-
folge wiederholter Einsprache seiner Offiziere nur noch
hartnäckiger auf seinem Willen zu beharren. Übrigens
muß er an einer Überreizung leiden, deren Ursache mir
noch dunkel ist.
Während der Mahlzeiten haben wir, Mr. Letourneur
und ich, die Schweigsamkeit des Kapitäns und die Un-
ruhe des zweiten Offiziers wiederholt beobachtet. Dann
und wann versucht Robert Kurtis eine Konversation
zu unterhalten, doch schweigt sie meist sofort wieder,
und weder der Ingenieur Falsten noch Mr. Kear sind die
Leute dazu, eine solche zu führen.
Ruby natürlich ebensowenig. Inzwischen fangen die
Passagiere, und das nicht ohne Grund, an, sich über die
lange Dauer der Fahrt zu beklagen. Mr. Kear, ein Mann,
vor dem sich selbst die Elemente beugen müssen, scheint
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Kapitän Huntly für diese Verzögerung verantwortlich
machen zu wollen und sagt ihm das ins Gesicht.
Im Verlauf des 17. und von da an auch später wird das
Verdeck auf Anordnung des zweiten Offiziers wieder-
holt begossen. Gewöhnlich geschieht das nur am Mor-
gen, jetzt mag die öftere Wiederholung dieses Verfah-
rens durch die hohe Temperatur veranlaßt sein, in der
wir uns befinden, da wir so weit nach Süden herabge-
trieben sind. Die Pfortsegel über den Luken werden so-
gar stets ganz naß gehalten, und ihr dadurch eingelaufe-
nes Gewebe bildet eine ganz undurchdringliche Decke.
Die ›Chancellor‹ besitzt Pumpen, die das Überfluten mit
Wasser sehr bequem ausführen lassen. Ich glaube kaum,
daß das Verdeck der luxuriösesten Goéletten peinlicher
reingehalten wird. Die Mannschaft des Schiffes hätte ei-
gentlich Ursache, sich über die ihr mehr aufgebürdete
Arbeit zu beklagen, aber »sie beklagt sich nicht«.
Während der Nacht vom 23. zum 24. erscheint mir
die Temperatur in den Kabinen wahrhaft erstickend.
Trotz des starken Meergangs habe ich die kleine Licht-
pforte meiner Kabine in der Steuerbordwand des Schif-
fes offenlassen müssen.
Man kann nicht im Zweifel sein, daß wir uns in den
Tropen befinden.
Mit Tagesgrauen bin ich nach dem Verdeck gegan-
gen. Zu meiner Verwunderung habe ich die Lufttempe-
ratur nicht entsprechend der im Inneren des Fahrzeugs
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gefunden. Der Morgen ist sogar recht kühl, denn die
Sonne ist kaum über dem Horizont herauf, und doch
habe ich mich nicht getäuscht, es war gewiß sehr warm
im Schiff.
Eben sind die Matrosen mit dem unvermeidlichen
Abwaschen des Verdecks beschäftigt; die Pumpen
speien Wasser, das je nach Lage des Schiffes durch die
Schanzenkleidung der Backbord- oder Steuerbordseite
abläuft.
Die Seeleute laufen in dem Wasser mit bloßen Füßen
umher. Ich weiß nicht, warum mich die Lust anwandelt,
es ihnen nachzumachen. Ich entledige mich also der
Stiefel und der Strümpfe und plätschere in dem frischen
Seewasser herum.
Zu meinem größten Erstaunen fühle ich, daß das
Verdeck der ›Chancellor‹ sehr warm ist, und kann einen
Ausruf darüber nicht zurückhalten.
Robert Kurtis hört mich, wendet sich um, kommt auf
mich zu und beantwortet mir eine Frage, die ich noch
gar nicht an ihn gestellt habe:
»Nun ja«, sagt er, »es ist Feuer an Bord!«
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19. Oktober. – Jetzt wird mir alles klar, das gegenseitige
Zuzischeln der Matrosen, ihr unruhiges Aussehen, die
Worte Owens, das Begießen des Verdecks, das man in
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fortwährend angefeuchtetem Zustand zu halten trach-
tet, und ebenso die Wärme, die sich in den Wohnräu-
men entwickelt und nach und nach unerträglich wird.
Die Passagiere haben darunter gelitten, ebenso wie ich,
und vermögen sich diese abnorme Temperatur gar nicht
zu erklären.
Nachdem er mir diese sehr ernste Mitteilung ge-
macht, versinkt Robert Kurtis wieder in Schweigen.
Er scheint meine Frage zu erwarten, doch gestehe ich,
daß mich zunächst von Kopf bis Fuß ein kalter Schauer
überlief. Von allen Unfällen, die eine Seefahrt nur tref-
fen können, ist jener der furchtbarste, und kein Mensch,
er sei noch so kaltblütig, wird ohne leises Zittern die
Worte hören können: »Es ist Feuer an Bord!«
Indessen gewinne ich meine
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