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Die Chancellor

Die Chancellor

Titel: Die Chancellor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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schrecklicher sind, als die des
    Hungers. Schon hat sich bei den meisten von uns der
    Mund, der Schlund und der Kehlkopf vor Trockenheit
    zusammengeschnürt, und die Schleimhäute verhornen
    fast durch die warme Luft, die das Atmen ihnen zu-
    führt.
    Auf meine Bitte geht der Kapitän für dieses Mal von
    der gewohnten Kost ab. Er erlaubt eine doppelte Wasser-
    ration, und wir haben an diesem Tag unseren Durst vier
    Mal, wohl oder übel, stillen können. Ich sage »wohl oder
    übel«, denn dieses auf dem Boden der Tonne befind-
    liche Wasser ist trotz der Bedeckung mit einem nassen
    Segel ganz lauwarm geworden.
    Alles in allem ist heute ein böser Tag, und von neuem
    verfallen die Matrosen unter den Qualen des Hungers
    der Verzweiflung.
    Auch bei Aufgang des Mondes hat sich die Brise nicht
    wieder erhoben. Da aber die Nächte in den Tropen im-
    mer etwas frisch sind, gewährt uns das doch einige Er-
    leichterung; während des Tages aber bleibt die Tempe-
    ratur ganz unerträglich, und diese so auffällige Erhö-
    hung unterstützt die Meinung, daß wir weiter nach Sü-
    den getrieben sind.
    Nach Land auszulugen, hat man jetzt ganz aufgege-
    — 241 —
    ben. Der ganze Erdball scheint nur noch eine Wasserku-
    gel zu sein – immer und ewig der grenzenlose Ozean!
    Am 10. dieselbe Ruhe, dieselbe Hitze. Der Himmel
    gießt nur einen Feuerregen auf uns herab, und wir at-
    men glühende Luft. Unser Bedürfnis zu trinken wächst
    ohne Maß, und wir vergessen fast die Qual des Hun-
    gers; mit solcher Gier erwarten wir den Augenblick, bis
    Robert Kurtis die wenigen Tropfen unserer Wasserrati-
    onen austeilt. Oh, könnten wir uns nur einmal satt trin-
    ken, könnten wir unseren Vorrat erschöpfen und dann
    sterben!
    In diesem Augenblick – es ist jetzt Mittag – wird ei-
    ner unserer Gefährten von den heftigsten Schmerzen
    ergriffen, die ihm manchen gräßlichen Schrei auspres-
    sen. Es ist der elende Owen, der im Vorderteil liegend
    sich unter schrecklichen Konvulsionen krümmt.
    Ich schleppe mich zu ihm hin. Was er auch verbro-
    chen haben mag, die Menschlichkeit gebietet zu versu-
    chen, ob ihm einige Hilfe zu bringen ist.
    Aber gleichzeitig stößt der Matrose Flaypol einen
    lauten Schrei aus; ich drehe mich um.
    Flaypol ist am Mast in die Höhe geklettert, und seine
    Hand zeigt nach Osten gegen den Horizont.
    »Ein Schiff !« ruft er.
    Schnell sind alle auf den Füßen. Eine Todesstille
    herrscht an Bord. Auch Owen vergißt seine Schmerzen
    und hat sich mit erhoben.
    — 242 —
    Wirklich ist in der von Flaypol bezeichneten Rich-
    tung ein weißlicher Punkt sichtbar. Aber ändert er denn
    seine Stelle? Ist es ein Segel?
    Was denken die Seeleute darüber, die ja dafür ein so
    scharfes, geübtes Auge haben?
    Ich beobachte Robert Kurtis, der mit gekreuzten Ar-
    men den weißen Punkt ins Auge faßt, seine Wangen
    springen vor, alle Teile seines Gesichts sind infolge der
    Zusammenziehung der kreisförmigen Augenmuskeln
    emporgedrängt, seine Augenbrauen runzeln sich, seine
    Lider sind halb geschlossen, und er konzentriert in sei-
    nem Blick alle ihm zu Gebote stehende Sehkraft. Wenn
    jener weiße Punkt ein Segel ist, wird er sich darüber
    nicht täuschen.
    Doch nein, er schüttelt den Kopf, seine Arme fallen
    schlaff herab.
    Ich sehe dorthin. Der weiße Punkt ist nicht mehr vor-
    handen. Es war kein Schiff, es war irgendein Reflex, ein
    schäumender Wellenkamm, oder, wenn es ein Schiff ge-
    wesen ist, dann ist es eben wieder verschwunden.
    Welch eine Niedergeschlagenheit folgt diesen Mo-
    menten der Hoffnung! Alle haben wir unseren gewohn-
    ten Platz wieder eingenommen. Robert Kurtis verharrt
    unbeweglich, aber er mustert den Horizont nicht mehr.
    Da wiederholen sich Owens Schmerzensschreie hef-
    tiger als zuvor. Sein ganzer Körper windet sich unter der
    qualvollen Pein, und sein Anblick ist wahrhaft erschre-
    — 243 —
    ckend. Seine Kehle schnürt ein spasmodischer Krampf
    zusammen, seine Zunge ist trocken, der Leib aufgetrie-
    ben, der Puls schwach, schnell und unregelmäßig. Der
    Unglückliche leidet an konvulsivischen Bewegungen
    und selbst an tetanischem Zucken.
    Diese Symptome lassen keinen Zweifel übrig: Owen
    ist durch Kupferoxyd vergiftet.
    Wir haben kein Gegenmittel, um die Wirkung des
    Giftes zu neutralisieren, doch kann man wohl Erbre-
    chen hervorrufen, um den Mageninhalt des Kranken
    fortzuschaffen. Warmes Wasser muß diesen Erfolg er-
    zielen, und ich bitte also Robert Kurtis um etwas Was-
    ser. Der

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