Die Chaos Queen
lassen. Wenn ich mit jemandem rede, dann mit dir.«
»Sein Pech ist mein Glück?«
»Heute ist dein Glückstag«, sagte ich.
Ranger hakte den Finger in meine Jeansjacke und zog mich an sich. »Über wie viel Glück sprechen wir gerade?«
»So viel auch wieder nicht.«
Ranger streifte meine Lippen mit einem leichten Kuss. »Eines Tages …«, sagte er.
Womit er wahrscheinlich recht hatte. Ranger und ich haben eine sonderbare Beziehung. Er ist mein Mentor, mein Beschützer und Freund. Außerdem ist er heiß und geheimnisvoll und strotzt nur so vor Testosteron. Vor einiger Zeit war er eine einzige, unglaubliche Nacht lang mein Liebhaber. Wir wollten mehr, aber bis heute haben meine handfeste Erziehung in Burg und mein starker Überlebensinstinkt dafür gesorgt, dass Ranger nicht wieder in meinem Bett landete. Das läuft seinen Instinkten absolut zuwider. Ranger ist so gepolt, dass er sein Opfer im Blick behält, die Jagd genießt und auf seine Chance wartet, den entscheidenden Zugriff zu machen. Schließlich ist er Jäger – von Männern wie von Frauen.
Er ließ meine Jacke los. »Ich will mir Barronis Haus und Laden mal näher ansehen. Willst du mitkommen?«
»Ja, aber nur um dir Gesellschaft zu leisten. Ich will nichts damit zu tun haben. Mit Kautionsvollstreckung bin ich durch.«
»Immer noch mein Glückstag«, sagte Ranger.
Meine Wohnung war nur wenige Meilen von dem Haushaltswarengeschäft entfernt, doch als wir zur Rudd und Liberty kamen, war es schon nach sechs, und der Laden hatte geschlossen. Wir bogen in die Lieferantenzufahrt ein. Ranger hielt mit dem Porsche vor Barronis Hintertür. Auf dem kleinen Grundstück parkte eine schwarze Corvette.
»Da macht einer Überstunden«, bemerkte Ranger. »Kennst du das Auto?«
»Nein, aber ich schätze, es gehört Anthony. Seine beiden älteren Brüder sind verheiratet und haben Kinder. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie so viel Geld für ein Spielzeug übrig haben.«
Ranger fuhr weiter, bog um die Ecke und hielt am Straßenrand. Den ganzen Tag hatte eine dichte Wolkendecke am Himmel gehangen, jetzt nieselte es. In der Dämmerung leuchteten Straßenlaternen. Rote Bremslichter brachen sich in Rangers regenbesprenkelter Windschutzscheibe.
Nach fünf Minuten rollte die Corvette mit Anthony am Steuer an uns vorbei. Ranger legte den Gang ein und folgte ihm in gebührendem Abstand. Anthony fuhr durch Burg und hielt vor Pino’s Pizza. Einige Minuten verschwand er in der Pizzeria, dann kehrte er mit zwei großen Pizzakartons zum Auto zurück. Er fuhr Richtung Hamilton Avenue, überquerte sie und bog nach zwei Häuserblocks in die Auffahrt eines zweigeschossigen Stadthauses. Angebaut war eine Garage, aber Anthony benutzte sie nicht. Er parkte in der Einfahrt und eilte zu der kleinen Veranda. Dort nestelte er seine Schlüssel hervor, öffnete die Tür und verschwand im Haus.
»Ganz schön viel Pizza für eine Person«, bemerkte Ranger.
»Und irgendwas hat er in der Garage. Es regnet, er hat die Hände voller Pizzakartons und parkt trotzdem in der Einfahrt.«
»Vielleicht ist Spiro da drin. Vielleicht hat er sein Auto in Anthonys Garage geparkt.«
»Ich merke schon, die Aussicht lockt dich«, meinte Ranger.
»Ich wäre froh, Spiro zu finden, dann könnte ich den Schikanen ein Ende machen.«
An allen Fenstern waren die Rollos heruntergelassen. Ranger ließ den Porsche ein paar Minuten im Leerlauf brummen, dann fuhr er weiter. Er nahm denselben Weg zurück zum Haushaltswarengeschäft und ließ sich von mir zu Michael Barronis Haus auf der Roebling dirigieren.
Für Burg-Verhältnisse war das Haus groß. Rund zweihundert Quadratmeter. Oben und unten. Eine frei stehende Garage. Die Fassade war mit grauem Kunststein verkleidet, die übrigen drei Seiten mit weißem Vinyl. Über die gesamte Front zog sich eine Veranda, der Vorgarten war briefmarkengroß. Darin stand eine Gipsstatue der Jungfrau Maria. Zu ihren Füßen war ein kleiner Korb mit Plastikblumen. Im Haus der Barronis waren die Rollläden hochgezogen, man konnte hineinsehen. Eine Frau lief allein durch die Räume – Carla Barroni, Michael Barronis Ehefrau. Sie setzte sich im Wohnzimmer vor den Fernseher und schaute die Abendnachrichten an.
Carla zu beobachten, faszinierte mich. »Es muss furchtbar sein, nicht Bescheid zu wissen«, sagte ich zu Ranger. »Wenn jemand verschwindet, den man liebt. Nicht zu wissen, ob er ermordet und im Boden verscharrt wurde, ob man ihn vertrieben hat oder ob er krank
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