Die Chaos Queen
war und nicht mehr nach Hause wollte. Dagegen erscheinen meine Probleme lächerlich.«
»Drohbriefe sind nicht lächerlich«, gab Ranger zurück.
Alles ist relativ, dachte ich. Die Drohbriefe waren nicht halb so einschüchternd wie die Aussicht, erneut acht Stunden mit Mama »Leberfleck« Macaroni zu verbringen. Außerdem dachte ich gerade an persönliche Probleme. Mein Leben hatte keine klare Richtung. Meine Ziele waren klein und bezogen sich auf die nächste Zukunft: Miete zahlen. Ein besseres Auto kaufen. Mir etwas zum Abendessen überlegen. Ich hatte keine berufliche Perspektive. Ich hatte keinen Ehemann. Ich hatte keine besonderen Fähigkeiten. Ich hatte keine große Leidenschaft. Ich hatte kein Hobby. Selbst mein Haustier war winzig – ein Hamster. Ich mochte Rex sehr, aber besonders aussagekräftig war er nicht.
Ranger unterbrach mein Sinnieren. »Babe, ich habe das Gefühl, als ob du an einem Abgrund stehst und runterguckst.«
»Ich denke nur nach.«
Ranger legte den Gang ein und kurvte durch die Stadt. Wir überprüften das Haus und die Kneipe von Louis Lazar. Dann fuhren wir auf der Stark vier Blocks nach Norden und parkten vor Gormans Werkstatt. Alles war dunkel. Kein Zeichen von Leben. An der Bürotür hing ein Schild: »Geschlossen«.
»Gormans Geschäftsführer hat die Werkstatt eine Woche geleitet, dann hat er aufgegeben«, erklärte Ranger. »Gorman ist nicht verheiratet. Er lebte mit einer Frau zusammen, aber die hat keinen Anspruch auf seinen Besitz. Er hat eine ganze Horde Kinder, jedes von einer anderen Mutter. Die Kinder sind zu jung, um das Geschäft zu führen. Die übrigen Verwandten wohnen in South Carolina. Ich hab schon eine Suchanfrage hingeschickt, aber die kam negativ zurück. Soweit ich weiß, schrieb das Geschäft schwarze Zahlen. Gorman konnte gemein sein, aber dumm war er nicht. Wenn er sich hätte absetzen wollen, hätte er Vorkehrungen getroffen, damit die Werkstatt weiterlief. Ich kann mir nicht vorstellen, dass er einfach so abgehauen ist. Meistens spüre ich irgendwas … bei der Mutter, der Freundin, den Kollegen. Aber hier kommt überhaupt nichts rüber.«
Wir fuhren zwei Blocks zurück und parkten vor einem heruntergekommenen Mietshaus.
»Dies ist Gormans letzte bekannte Adresse«, sagte Ranger.
»Seine Freundin hat nicht ganz so lange gewartet wie sein Geschäftsführer. Am fünften Tag hatte sie einen neuen Typ, der seine Klamotten in ihren Schrank hängte. Wenn sie Gormans Aufenthaltsort gewusst hätte, hätte sie ihn für einen Ausflug zum Multiplex-Kino verraten.«
»Nachdem er die Werkstatt verließ, hat ihn keiner mehr gesehen?«
Ranger beobachtete das Haus. »Nein. Ich weiß lediglich, dass er auf der Stark gen Norden fuhr. Genau wie Lazar.«
Auf der Stark gen Norden konnte alles Mögliche bedeuten. Je weiter man rausfuhr, desto schlechter wurde die Umgebung. Bis es so schlimm wurde, dass selbst Banden die Ecke mieden.
An der Stadtgrenze war die Stark ein verlassenes Krisengelände aus ausgebrannten Ziegelsteingebäuden mit vernagelten Fenstern. Es war ein Friedhof für gestohlene, ausgeschlachtete Autos und völlig abgewrackte Heroinabhängige. Eine Müllhalde mit Selbstbedienung. Außerdem führte die Stark im Norden zur Route 1, und die Route 1 brachte einen in den Rest des Bundesstaates.
Rangers Pager summte. Er sah nach und fuhr wieder los, fädelte sich in den Verkehr ein. Ranger ist ein heißer Typ, aber er hat ein paar Angewohnheiten, die mich in den Wahnsinn treiben. Er isst keinen Nachtisch, hat ein überentwickeltes Geheimhaltungsbedürfnis und wenn er nicht gerade versucht, mich zu verführen oder mich in die höhere Kunst der Kopfgeldjagd einzuführen, ist er stumm wie ein Fisch.
»He«, sagte ich schließlich, »geheimnisvoller Fremder, was war mit dem Pager?«
»Geschäftlich.«
»Und?«
Ranger warf mir einen Seitenblick zu.
»Kein Wunder, dass du nicht verheiratet bist«, sagte ich. »An deinen Umgangsformen musst du noch ganz schön feilen.«
Ranger grinste mich an. Scheinbar fand er mich amüsant.
»Das war das Büro«, sagte er. »Elroy Dish ist vor zwei Tagen abgetaucht. Ich warte die ganze Zeit darauf, dass er im Blue Fish aufkreuzt. Gerade ist er reingekommen.«
Vinnie hat schon für drei Generationen der Familie Dish Kaution gestellt. Elroy war der Jüngste. Zu seinen Spezialitäten gehörten bewaffneter Überfall und häusliche Gewalt, aber eigentlich konnte er so gut wie alles. Wenn Elroy betrunken oder breit war,
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