Die Chaos Queen
Hand über den Hörer. »Meine Mutter hat was getrunken«, erklärte ich Morelli.
»Das habe ich gehört«, sagte meine Mutter. »Ich habe nichts getrunken. Um Himmels willen, es ist acht Uhr morgens!«
»Und ob du was getrunken hast«, kreischte Grandma im Hintergrund. »Ich hab gesehen, wie du an der Flasche im Schrank genippt hast.«
»Sonst hätte ich mich umgebracht«, sagte meine Mutter.
»Deine Schwester hat gerade vom Flughafen aus angerufen. Sie meinte, sie würden jetzt zusammen wegfliegen … Valerie, die drei Mädchen und der Kuschelbär. Und zwar nach Disney World. Dann musste sie auflegen, weil sie starten wollten. Ich hab die Ansagen übers Telefon gehört. Ich hab Papa zu ihrem Haus geschickt, aber es ist alles dicht und abgesperrt.«
»Also keine Hochzeit?«
»Nein. Sie hätte nicht genug abgenommen. Ihr würden noch dreißig Kilo fehlen. Und dann meinte sie noch, Kuschelbär würde von ihrem Brautkleid Asthma bekommen. Das habe ich nicht so richtig verstanden.«
»Was ist mit dem Empfang? Findet er trotzdem statt?«
»Nein.«
»Niemals?«
»Nein. Valerie meinte, wenn Disney World ihnen gefallen würde, würden sie dableiben und nicht mehr nach New Jersey zurückkommen.«
»Dann holen wir besser die Torte«, schlug ich vor. »Wäre schade, wenn die keiner isst.«
»In so einer Situation denkst du an die Torte? Was ist übrigens los mit deinem neuen Handy?«, fragte meine Mutter. »Ich hab dich darauf angerufen, aber es funktioniert nicht.«
»Es ist mit Joes Garage in die Luft geflogen.«
»Gib mir auf jeden Fall deine Nummer, wenn du ein neues bekommst«, sagte meine Mutter. »Tut mir leid, dass du jetzt nicht vor allen Cello spielen kannst.«
»Ja, das wäre schön gewesen.«
Ich legte auf und sah Morelli an. »Valerie sitzt im Flieger nach Disney World.«
»Schön für sie«, meinte Morelli. »Das heißt wohl, dass wir den Rest des Tages freihaben. Dann hast du noch ein bisschen Zeit, um in meine Shorts zu linsen.«
Das ist der grundlegende Unterschied zwischen Morelli und mir: Ich denke immer zuerst an Kuchen. Er immer zuerst an Sex. Dass mich keiner falsch versteht. Ich mag Sex, sehr sogar. Aber die Stelle von Kuchen wird er nie einnehmen.
Morelli goss Kaffee nach. »Was hat deine Mutter gesagt, als du ihr das mit deinem Handy erklärt hast?«
»Sie meinte, ich sollte ihr meine Nummer geben, wenn ich ein neues hätte.«
»Das war alles?«
»Im Großen und Ganzen. Das mit deiner Garage war wohl keine große Neuigkeit für sie.«
»Ist ja auch schwer, Mama Macaroni zu toppen«, meinte Morelli.
Am vergangenen Abend war Morellis Garage mit Flatterband abgesperrt worden. Jetzt bewegten sich vorsichtig Kriminaltechniker am Tatort, sammelten Beweisstücke, fotografierten alles. Zwei Streifenwagen und ein Tatortbus parkten in der Gasse. Am Rande des Hofs standen einige Nachbarn mit Händen in den Taschen und schauten zu.
Ich sah, dass Laski über den Hof zur Hintertür kam. Er trat ein und legte eine weiße Bäckertüte auf den Tisch.
»Doughnuts«, erklärte er. »Habt ihr Kaffee?«
Hinter Laski erschienen zwei uniformierte Kollegen.
»War das eben eine Bäckertüte, die hier reingegangen ist?«, fragte der eine.
Ich setzte eine neue Kanne Kaffee auf und entschuldigte mich. Heute würde das Haus voller Bullen sein. Morelli würde Krankenschwester Stephanie nicht gebrauchen. Ich duschte, fasste das Haar zu einem provisorischen Pferdeschwanz zusammen und zog schwarze Jeans, ein schwarzes T-Shirt und Pumas an. Dann nahm ich mir das schwarze Sweatshirt und die Schlüssel für den Buick und ging in die Küche, um Morelli die frohe Kunde zu überbringen.
»Ich gehe zur Arbeit«, sagte ich. »Ich habe gestern nicht mehr alles geschafft.«
Wir sahen uns in die Augen, wahrscheinlich überlegte Morelli, ob ich wirklich arbeiten wollte oder doch eher Ranger bumsen. »Nimmst du den Buick?«
»Ja.«
»Ryan soll das Auto absuchen, bevor du reinsteigst.«
Das war mir völlig recht. Ich war nicht in der rechten Laune, in die Luft zu fliegen.
Vor mir lagen drei komplette Akten: Barroni, Gorman und Lazar. Runion war noch in Arbeit. Mein Block war zur Hälfte mit Notizen beschrieben, doch bis jetzt hatte sich nichts herauskristallisiert, was ein Anhaltspunkt hätte sein können.
Die plötzliche Stille verriet mir, dass Ranger im Überwachungsraum war. Wenn die Männer allein waren, wurde ständig leise gesprochen. Tauchte Ranger auf, herrschte Ruhe. Ich rollte mit dem Stuhl zurück,
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