Die Chaosschwestern sind unschlagbar - Mueller, D: Chaosschwestern sind unschlagbar
Apothekerin.
»Äh, ja bitte.« Muss wohl in Gedanken versunken erstarrt
sein. »Ich bin sofort zurück.« Ich drehe mich um und gehe zur Tür.
»Tessa?«
Hä?
Ich drehe mich wieder zurück und sehe … direkt in Henrys Gesicht. Zur Abwechslung mal nicht grinsend. Aber auch nicht unfreundlich.
HENRY? Was um alles in der Welt …? Ach ja, er arbeitet ja hier. Ich hasse Kleinstädte!
Henry! Er steht im Türrahmen mit ein paar Päckchen in der Hand. Dann muss das die ganze Zeit Henry gewesen sein, da im Hinterzimmer.
»Ich kann dir Geld leihen. Kein Problem.«
Ich starre ihn an. Zu entsetzt, um zu antworten.
Er hat alles gehört. Er weiß alles. Er weiß, dass Tessa-Tiara Martini Läuse hat!
»Hörst du?«, fragt er. »Du kannst es mir ja morgen in der Schule wiedergeben.«
Ich bin immer noch stumm. Unter Schock, sagt man wohl. Warum sieht mich dieser Junge immer in den miesesten Momenten meines Lebens?
Henry kramt aus seiner Tasche das fehlende Geld hervor. Nur drei Sekunden später stürze ich – die Läusemittel neutral in einer Tüte verpackt – schweißgebadet aus dem Laden.
Oh, Hilfe, vielleicht sollte ich Henry doch noch mal einen kleinen Wink geben, dass er das alles bitte für sich behält! Ob ich ihm da vertrauen kann? Wie ein Mistkerl sieht er eigentlich nicht aus. Wie einer, der gleich morgen in der Schule brühwarm rumerzählt, dass Tessa-Tiara Martini in der Apotheke Läusemittel gekauft hat, meine ich. Vielleicht sollte ich noch ein paar Minütchen rumtrödeln und auf ihn warten.
Ups, da ist er ja schon!
»Hi!« Er hat zwei dicke Tüten in den Armen und sein gewohntes Grinsen im Gesicht. »Noch was vergessen?« Ich hole tief Luft. »Nein, ähm, ich wollte dich nur bitten, dass du …«
Meine Stimme wird immer leiser und leiser. Aber Henry scheint besser im Kapieren zu sein als die Apothekerin.
»Dass ich meine Klappe halte?«, beendet er meinen Satz. Er lächelt jetzt nicht mehr, sondern guckt ernst. Nicht böse, nicht spöttisch, nicht genervt, nur ernst. Freundlich.
»Äh, ja.« Ich glaube, ich sehe reichlich unglücklich aus.
»Mach dir bloß keine Sorgen!«, meint er. »Ich bin doch kein Idiot. Erstens sind Läuse überhaupt kein Ding, wer hatte die noch nie? Und zweitens ist die Apotheke meine Arbeit. Nichts, was ich da höre oder sehe oder jemandem liefere, würde ich weitererzählen. Das ist alles vertraulich, ist doch klar. Ich glaube, sonst wäre ich den Job hier auch schnell wieder los.«
Nun grinst er doch wieder. Auf wirklich nette Art. »Bist du dir überhaupt sicher, dass du wirklich Läuse hast?«
»Wieso?« Ich starre ihn verdutzt an. Immerhin hat mir Marion Petersen doch gesagt, dass Timmi Läuse hat.
Er nickt, nachdem ich ihm das erzählt habe. »Klar, kleine Kinder haben ständig Läuse, aber das heißt nicht, dass du dich zwangsläufig angesteckt hast.« Er grinst sein übliches breites, freundliches, aber eben auch ein wenig spöttisches Grinsen. »Hat denn jemand welche auf deinem Kopf gesehen?«
»Nein, natürlich nicht«, antworte ich. »Das hab ich doch niemandem gesagt!«
Na ja, außer Javier natürlich.
»Soll ich mal gucken?«, fragt er und kommt schon näher,
ohne auf meine Antwort zu warten. »Beug deinen Kopf runter und nimm die Mütze ab.«
Ich gucke schnell nach rechts und links den Gehweg runter. Ich meine, wenn mich hier jemand sieht, wie ich mich von jemand anderem öffentlich entlausen lasse wie die Affen im Zoo, das wäre ja noch hundert Mal peinlicher, als in der Apotheke beim Läusemittelkauf erwischt zu werden.
Die Straße ist aber menschenleer. Ein paar Kinder johlen da hinten auf dem Spielplatz und in den Büschen davor raschelt irgendwas. Aber ob mich ein paar Vögel oder kleine Krabbelkinder, die in der Hecke Verstecken spielen, sehen oder nicht, ist wohl kein Problem.
Ich gehorche also und beuge brav meinen Kopf zu ihm hin. Henry klingt so, als wüsste er, was er tut.
Er lehnt sich dicht über mich und fummelt auf meinem Kopf rum, zieht Strähne für Strähne zur Seite und guckt und guckt. Mein Gesicht an seinem Hals.
Ich halte einfach still und versuche, nicht daran zu denken, dass das doch nun wirklich echt peinlich ist. Auch wenn uns keiner dabei zusieht. Ein beinahe fremder Junge, der auf meinem Kopf nach kleinen schwarzen Krabbeltieren sucht!
Ich beschließe, dass es wohl am besten ist, gar nichts zu denken. Aber das Riechen kann ich nicht abschalten. Und – hm – Henry riecht gut.
Blödsinn! Auch so was denkt man
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