Die Chorknaben
schrecklich schmerzten. »Das hängt ganz von Ihnen ab, wer Sie wollen, daß ich bin«, erwiderte Luther Quigly.
»Hören Sie, verdammt noch mal, gehen Sie rüber zum Ententeich. Dort liegen ein paar besoffene Kerle rum. Sehen Sie zu, daß Sie mir einen von denen hierher schaffen!«
»Wozu brauchen wir denn noch jemand anderen?« keuchte Luther Quigly. »Drei wären doch schon eine kleine Volksversammlung!«
»Verdammt noch mal, ich brauche aber jemanden. Ich bin an diesen Baum gekettet.«
»Gekettet!« juchzte Luther Quigly auf. Welch eine exquisite erotische Fantasie! Das konnte doch nicht wahr sein! Ein Mann, bis auf Hemd und Schuhe völlig nackt und an einen Baum gekettet!
»Allmächtiger!« seufzte Luther Quigly, und seine Knie zitterten immer mehr.
Roscoe wetzte um den Baum, wobei er den Stamm immer zwischen sich und dem Friseur hielt. »Bleib mir bloß vom Leib, du schwule Sau! Ich bring' dich um, wenn du mich anrührst. Hilf mir lieber. Ich punktier' dir sonst die Nieren! Und zermatsch' dir die Milz! SPERMWAHLE!« Dann hörte Luther Quigly rasch sich nähernde Schritte. Er sprang auf und rannte in Richtung Seventh Street davon, um nicht eher stehenzubleiben, als bis er zitternd in seinem Zimmer saß und überlegte, ob das Ganze nicht vielleicht doch nur Einbildung gewesen war. Schließlich gelangte er zu dem Schluß, daß es so gewesen war, und rief später seinen Therapeuten.
Die Chorknaben entschuldigten sich ausgiebig, als sie Roscoe Rules die Handschellen abnahmen und ihm seine feuchte Unterwäsche und Hose brachten.
»Wir haben dich wirklich völlig vergessen, Roscoe«, meinte Harold Bloomguard.
»Tut mir ehrlich leid, Kumpel«, brummte Spermwhale Whalen.
»Vergib uns, Roscoe, vergib uns«, flehte Pater Willie. »Schuld war nur dieser Trottel von Dean«, schimpfte Spencer Van Moot. »Wir waren so mit ihm beschäftigt, daß wir dich ganz vergessen haben, Roscoe.«
»Fehlt dir auch nichts, Mann?« erkundigte sich Calvin Potts. »Was ist mit deinen Handgelenken?«
Roscoe ließ sich nicht das Geringste anmerken, als er in seine Unterhose schlüpfte und seine Hose auswrang, um dann in die nassen Hosenbeine zu steigen und langsam zu seiner Decke zurückzugehen.
»Roscoe, warte doch mal 'nen Augenblick«, rief ihm Spermwhale nach, der als erster Verdacht schöpfte. Er versuchte, Roscoe zu überholen, während dieser schnurstracks auf seine Sachen zustrebte.
Aber es war bereits zu spät. Roscoe legte plötzlich einen irren Dreißig-Meter-Sprint ein, während Spermwhale brüllte: »DIE KNARRE!« Wenige Augenblicke später rannte Roscoe mit seiner Magnum wieder auf die Chorknaben zu, die in alle Richtungen auseinanderstoben und verzweifelt Deckung suchten. Ringsum versagten Schließmuskeln und Blasen ihren Dienst, und Francis Tanaguchi glaubte bereits, der Tod wäre ihm gewiß, als drei Explosionen die Chorknaben fast betäubten, die am nächsten standen.
Harold Bloomguard blickte als erster wieder auf und sah Roscoe Rules wie von Sinnen in den Ententeich waten, wo er auf die ahnungslosen Enten losballerte, die, ihre Schnäbel unter die Flügel gesteckt, bis vor kurzem friedlich auf dem Wasser getrieben hatten, aber nun laut quakend und hektisch um sich schlagend um ihr Leben zu schwimmen oder zu fliegen versuchten, während laut gellende Schüsse zwischen ihnen aufblitzten. Nachdem Roscoe dann jedoch dreimal ein leeres Magazin abzufeuern versucht hatte, erwischte er schließlich eine unglückliche Ente am Kragen und versuchte, ihr mit dem Kolben seiner Magnum die Lichter einzuschlagen und sie an Land zu schleppen, um ihr die Leber zu punktieren.
»Haltet ihn auf!« kreischte Francis Tanaguchi.
»Nehmt ihm die Knarre weg!« brüllte Spermwhale Whalen.
»Rettet die Ente!« flehte Harold Bloomguard, während sich fünf Chorknaben auf Roscoe stürzten, ihm die Waffe entrissen und seinen Kopf zwanzig Sekunden lang unter Wasser tauchten.
Dann zerrten sie ihn und die Ente ans Ufer, wobei Roscoe brüllte: »Laßt mich los! Laßt mich los! Ich bring' diese Ente um! Das soll mir dieses Scheißvieh büßen!« Und während sie den Hals der Ente aus Roscoes Händen wanden, ließ dieser eine Rechte und eine Linke los; erstere traf den Schnabel der zischenden Ente, zweitere das Auge von Spermwhale Whalen. Darauf wurde noch ein dritter Schlag ausgeteilt, diesmal allerdings von Spermwhale, und dieses Geschoß sollte Roscoe ein für allemal die Tollwut austreiben. Die Singstunde nahm ein abruptes Ende, indem
Weitere Kostenlose Bücher