Die Chorknaben
seinen Hemdkragen aufgerissen hatte.
Als nächstes sprang Sam auf und schoß hinter Spermwhale durch die Tür nach draußen. Harold Bloomguard erhob sich ebenfalls, um sich jedoch nach kurzem Überlegen wieder zu setzen.
Nick Yanov verlas die Aufträge und hob die Versammlung auf, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.
Draußen auf dem Parkplatz wurden dann die verschiedensten Spekulationen und Gerüchte bezüglich Baxters Selbstmord laut, und verschiedene Polizisten der Nachtschicht verbrachten einen endlos sich hinziehenden Abend voller Anspannung, an dem sie ihre Aufträge erledigten, durch die Gegend fuhren, schweigend rauchten und sich Mühe gaben, möglichst nicht an diese endgültigste aller Polizistenkrankheiten zu denken. Trotzdem grübelten sie vor sich hin, wie man sie sich holt und wie man sich dagegen schützen könnte.
Keiner der Chorknaben zeigte an diesem Abend bei der Arbeit sonderlich großen Eifer. Es war, als übte die Monotonie der Routine einen irgendwie tröstlichen und beruhigenden Effekt auf sie aus. Die einzige ungewöhnliche Aktion eines Nachtschichtstreifenwagens war, daß 7-A-79 zur West Los Angeles Police Station fuhr, in die Gegend, in der Baxter Slate gewohnt hatte, da er Westwood Village, die kulturellen Aktivitäten der UCLA, das Kino, in dem sie immer ausländische Filme zeigten, und das kleine, unaufdringliche französische Restaurant mit den großartigen Weinen mochte.
»Ich hätte gern mit jemandem vom Morddezernat gesprochen; mit dem Mann, der den Selbstmord von Officer Slate untersucht«, sagte Sam Niles zu dem einsamen Detektiv im Bereitschaftsraum.
»Die sind alle nach Hause, Officer. Könnten Sie vielleicht morgen wieder vorbeikommen?« Der Untersuchungsbeamte war nicht viel älter als Sam, und wie Sam hatte er einen Schnurrbart. Seine Anzugjacke war über einen Stuhl geworfen. Er trug ein Schulterhalfter, der recht unbequem wirkte.
»Ich würde mir gern mal den Bericht über den Fall Baxter Slate ansehen«, beharrte Sam Niles.
»Ich darf an die Selbstmordfälle nicht ran. Kommen Sie doch morgen wieder. Sie können dann ja mit …«
»Bitte«, bestand Sam Niles. »Ich möchte doch nur den Bericht sehen. Bitte.« Der Detektiv wollte schon ablehnen, aber dann sah er Harold Bloomguard an, der sich umdrehte und aus dem Büro ging; und er sah Sam Niles an, der stehenblieb. Mit einem Blick auf Sams Gesicht fragte er: »War er ein Freund von Ihnen?«
»Bitte lassen Sie mich den Bericht sehen. Ich muß ihn einfach sehen. Ich weiß auch nicht, warum.«
»Also gut, dann nehmen Sie doch mal kurz Platz«, forderte ihn der Untersuchungsbeamte auf und trat an eine Schublade mit der Aufschrift ›Selbstmorde – 1974‹. Er zog einen braunen Umschlag heraus, nahm die Fotos heraus, die Sam Niles auf keinen Fall sehen wollte, und reichte ihm die Akte.
Sam las den Bericht, in dem die Hausbesitzerin als die Person aufgeführt wurde, welche die Leiche entdeckt hatte. Die Person, welche den Schuß gehört hatte, war eine Nachbarin, eine gewisse Mrs. Flynn. Er las, daß Baxters Mutter, die in Hawaii lebte, bislang noch nicht verständigt worden war. Die nächste Verwandte, die inzwischen von seinem Tod wußte, war seine Schwester, die in San Diego verheiratet war. Der gefleckte kleine Hund, um den Baxter sich gekümmert hatte, seit er ihn vor der Wilshire-Station auf der Straße aufgelesen hatte, war in ein Tierheim gebracht worden, wo er sein Herrchen nicht lange überleben würde. Ansonsten vermittelte ihm der Bericht keine weiteren Informationen, außer daß Baxter um elf Uhr vormittags an jenem herrlichen, sonnigen, smoglosen Tag einen Schuß in seinen Mund abgefeuert hatte.
Die Akte enthielt außerdem einen Zettel für den Milchmann, auf dem er gebeten hatte, zwei Haschen Milch zu bringen. Die Handschrift wirkte krakelig und zögernd, nicht die energisch geschwungenen Linien, wie man sie sonst von Baxter Slate gewohnt war. Es verhielt sich damit ähnlich wie mit dieser entsetzlichen Grimasse endgültiger Erniedrigung in Gina Summers' Wohnung, die nichts mehr mit dem vertrauten Baxter-Slate-Grinsen zu tun gehabt hatte.
In dem Bericht stand, daß auf dem Tisch, an dem die Leiche gefunden wurde, mehrere Bücher lagen. Baxter Slate hatte sich noch einmal seinen Klassikern zugewandt. Verzweifelt. Wirr. Zusammenhanglos. Der zuständige Beamte hatte verschiedene Seiten aus den Büchern herausgerissen. Vielleicht hatte er gehofft, die mit zitternder Schrift an den Rand geschriebenen
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