Die Chorknaben
ein siebzigjähriger Schwarzer, der in der Nähe des Baldwin Hills-Reservoir wohnte. Während der Überschwemmungskatastrophe von 1963 hatte er sich in die tosenden Fluten gestürzt und eine Frau gerettet, die in ihrem Wagen davongeschwemmt wurde. Für diese Tat war Clyde Percy von der Stadt Los Angeles eine Urkunde ausgestellt worden – im übrigen die erste öffentliche Anerkennung, die ihm in seinem Leben zuteil geworden war. Nun konnte er sich allerdings nicht mehr allzu weit vom Schauplatz seines ehemaligen Triumphs entfernen und wurde so Anlaß manch eines Auftrags. Clyde Percy schlief in nicht abgeschlossenen Autos oder in Lagerschuppen, und einmal hatte er es sich sogar eine ganze Nacht lang auf einer körpergerechten Matratze im Schaufenster eines größeren Kaufhauses in Crenshaw bequem gemacht. Am nächsten Morgen wurde er dann, mit schmutzigen Schuhen und in voller Bekleidung, von den ersten Passanten im Schaufenster entdeckt. Er schnarchte friedlich; aus dem zahnlosen Mund floß ihm reichlich Speichel, und er träumte von irgendeiner Frau aus seiner Vergangenheit, da er sich an eine Erektion klammerte, die ihm nur im Schlaf kam. Dafür hatte Clyde neunzig Tage bekommen.
»Möchte nur wissen, weshalb diesen Auftrag nicht Spencer van Moot und Pater Willie gekriegt haben«, brummte Spermwhale Whalen. »Wetten, daß die beiden sich gerade wieder in so einer verdammten Boutique herumtreiben, um für Spencer 'ne Lord Fauntleroy Krawatte oder ein Paar schicke Stiefel zu kaufen. Dieser Kerl ist doch inzwischen schon mindestens vierzig Jahre alt und zieht sich immer noch an wie ein Schaufensterdekorateur oder so was.« Der Funkspruch, den Spermwhale und Baxter Slate bekommen hatten, bezog sich auf eine offene Tür, die ein ängstlicher Nachtwächter während seiner Runde durch ein Möbelgeschäft entdeckt hatte. Der Nachtwächter hatte aus dem Innern des Gebäudes seltsame, gespenstische Geräusche gehört; es war dort bereits dunkel und unheimlich, obwohl die Sonne noch nicht untergegangen war. Der Nachtwächter war fünfundsiebzig Jahre alt und nicht gerade begeistert von seinem Dasein als Nachtwächter. Aber da er und seine zwei Jahre jüngere Frau auf das Sozialamt angewiesen waren, hätten die beiden sich anstatt an zwei Tagen in der Woche fünf Tage lang von Hundefutter ernähren müssen.
»Machen Sie ruhig weiter Ihre Runde«, beruhigte Spermwhale den alten Mann. »Wir werden uns schon um die Sache kümmern.«
»Ich bin gleich auf der anderen Straßenseite bei meinem Wagen, falls Sie mich brauchen«, versprach der Nachtwächter. »Ich werde mich in der Nähe eines Funkgeräts aufhalten, falls Sie Hilfe benötigen sollten.«
»Gut«, nickte Spermwhale. »Halten Sie sich bereit, falls wir Sie brauchen.« Damit klopfte er dem Nachtwächter aufmunternd auf die Schulter und deutete auf seinen Wagen, der nicht auf der anderen Straßenseite geparkt stand, wie er gedacht hatte, sondern auf dem Parkplatz hinter dem Möbelgeschäft. Der alte Mann fand mindestens einmal pro Nacht seinen Wagen nicht mehr. Als die beiden Polizisten schließlich allein waren und es immer dunkler wurde, schlug Baxter vor: »Sollen wir nicht lieber einen zweiten Wagen zur Verstärkung anfordern, hm?«
»Nee«, schüttelte Spermwhale den Kopf. »Das ist nur der alte Clyde Percy.«
»Wer?«
»Clyde, der Lebensretter. Dieser bescheuerte Alte, der damals bei der Überschwemmungskatastrophe so 'ne Alte vor dem Ertrinken gerettet hat. Hast du noch nie was von ihm gehört? Der Kerl wird doch ständig wegen irgend etwas eingelocht.«
»Woher willst du wissen, daß es der ist?«
»Das Ganze ist absolut typisch für ihn. Er bricht immer nach Geschäftsschluß irgendwo ein, frißt sich voll und legt sich dann schlafen. Außerdem hat doch der Nachtwächter gesagt, er hätte ganz seltsame Geräusche gehört. Wie von einem Gespenst. Die Leute, die uns seinetwegen verständigen, sagen das immer.«
»Was macht er denn für Geräusche?«
»Er wimmert vor sich hin. Er hockt einfach nur herum und wimmert. Klingt wie ein trauriger Elch. Ich wette meinen Kopf, daß das da drinnen Percy ist.« Für alle Fälle nahm Baxter trotzdem das Ithaca-Gewehr aus der Halterung und schob eine Patrone ins Magazin, als sie hintereinander in das dunkle Möbelgeschäft traten und sich auf die Suche nach dem jammernden Elch machten.
Es war ein relativ kleines Möbelgeschäft, das komplette Wohnzimmereinrichtungen für sechshundert Dollar anbot. Clyde Percy hielt
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