Die Chorknaben
wurden auf dem Gewehr seine Fingerabdrücke entdeckt. Er war zweiundzwanzig Jahre alt. Er war weiß. Er hatte keinerlei Vorstrafen. Es gab keinerlei Anzeichen irgendwelcher psychischer Störungen. Der Vietnamkrieg war längst vorbei, und er hatte nicht daran teilgenommen. Er war kein Student. Er interessierte sich nicht für Politik. Er war Mechaniker. Er hatte Frau und Kind.
Francis war in jener Nacht während der Singstunde völlig außer sich; nicht so sehr vor Angst, als vor Wut – und schließlich vor Verzweiflung.
»Jetzt hör doch endlich auf, darüber zu reden«, versuchte Calvin, ihn zu bremsen. »Ich kann das Ganze schon nicht mehr hören. Na gut, dieses Arschloch hat auf uns geschossen, und jetzt ist das Ganze überstanden, und damit hat sich's.«
»Aber begreifst du denn nicht, Calvin? Er wußte doch absolut nichts über uns. Er hat uns nicht einmal gekannt. Wir waren für ihn doch nur … nur … blau uniformierte Symbole!«
»Na gut, dann sind wir eben blau uniformiert«, hielt ihm Calvin entgegen. »Nach Sonnenuntergang siehst du doch im Ghetto außer Blau und Schwarz sowieso nichts anderes.«
»Aber wir waren auf dem Olympic Boulevard. Der gehört nicht zum Ghetto. Und es war ein Weißer. Warum hat er geschossen? Wer war er? Hat dieser Idiot denn nicht gewußt, daß wir ein bißchen mehr sind als blaue Uniformen mit einem Abzeichen dran? Wirklich verrückt. Ich möchte nur wissen, woher solche Leute kommen. Das möchte ich wirklich wissen.«
»Ich weiß nicht mal, woher du kommst«, brummte Calvin wütend.
»Ich weiß auch nicht, woher ich komme«, meinte Francis. »Ich weiß nicht mal, wo mir der Kopf steht.«
»Was für ein Scheißestablishment haben wir denn für ihn repräsentiert?« wollte Spermwhale wissen. »Ich hab's langsam satt, ein Symbol zu sein! Für meine Ex-Frauen und Ex-Kinder bin ich auch kein Symbol. Warum will so ein stinknormaler Typ mich abknallen?« Und alle Chorknaben sahen sich im Mondlicht gegenseitig an, ohne daß einer von ihnen eine Antwort parat gehabt hätte.
»Ich wollte ihn nicht töten«, sagte Baxter leise. »Ich wollte noch nie jemanden töten.« Plötzlich war es kalt im Park. Sie waren begeistert, als Ora Lee Tingle auftauchte und andeutete, sie könnte an diesem Abend möglicherweise einen losmachen.
10
Sam Niles und Harald Bloomguard
I n der Nacht, in der Sam Niles und Harold Bloomguard auf den ›Stöhnenden Mann‹ trafen und eine Singstunde anberaumten, wurde Lieutenant Finque während des Appells von einer schrecklichen Migräne geplagt.
Schuld an seiner Migräne war der Umstand, daß er versuchte, für die Police Protective League einzutreten.
»Wie sollte diese verdammte Protective League etwas für uns tun?« wollte Spermwhale wissen. »Solange unsere feinen Herrn Vorgesetzten dort Mitglied sind? Begreifen Sie denn nicht, daß die League mehr wie eine richtige Gewerkschaft organisiert sein sollte. Aber so ist es doch wieder das alte Lied: Die da oben gegen die da unten. Und Sie zum Beispiel gehören doch auch schon zu denen da oben. In der League sollten meiner Meinung nach nur gewöhnliche Polizisten und vielleicht noch die Sergeants zugelassen werden. Aber alles, was darüber ist, ist doch der Feind, verdammt noch mal!«
»Das stimmt einfach nicht!« protestierte Lieutenant Finque. »Die Commander und die Deputy Chiefs sind genauso Polizisten wie …«
»Meine Fresse, Lieutenant!« unterbrach ihn Spermwhale. »Wann haben Sie denn zum letztenmal gehört, daß ein Deputy Chief TBC oder einen Bruch oder eine Lungenentzündung gekriegt hat oder angeschossen, verprügelt oder mit einem Messer niedergestochen worden ist? Die einzige Polizistenkrankheit, die die je kriegen, sind Herzbeschwerden, und das auch nicht, weil sie aus Funkstreifenwagen springen müssen und hinter irgendwelchen Arschlöchern herrennen und sich vielleicht dann auch noch mit denen prügeln müssen. Nein, die Herzbeschwerden kriegen sie davon, weil sie bei diesen Sexorgien, bei denen sie sich ausdenken, wie sie uns am besten dazu bringen, die Köpfe hinzuhalten, so viel fressen und saufen!«
»Wie viele Deputy Chiefs und Commander begehen eigentlich im Schnitt Selbstmord?« warf Baxter Slate plötzlich ein, und für einen Moment wurde es absolut still im Raum, während jeder der Anwesenden kurz über diese gefährlichste aller Polizistenkrankheiten nachdachte.
»Nun, in der Regel sind es doch die gewöhnlichen Polizisten, die sich irgendwann mal ihre Knarre
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