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Die Chorknaben

Die Chorknaben

Titel: Die Chorknaben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joseph Wambaugh
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nachmittag zwischen vier Uhr und vier Uhr dreißig in der Nähe der Dorsey-High-School zu einem Aufruhr kommen. Verschiedene militante …«
    »Ein halbstündiger Aufruhr?« unterbrach Calvin Potts den Lieutenant, welcher daraufhin den Faden noch mehr verlor. Er fing an, sich mit Sergeant Yanov, der rechts von ihm saß, zu unterhalten, als wären sie allein im Raum.
    »Wissen Sie, Yanov, es kursiert da ein Gerücht, daß diese jungen Vietnamveteranen, die sie heutzutage anstellen, Hasch rauchen. Sie wissen ja selbst, wie schwierig es allein schon ist, sie dazu zu bringen, daß ihre Haare nicht über den Kragen stehen und ihre Schnurrbärte sauber gestutzt sind. Und dann ist auch noch durchgedrungen, daß ein paar Polizisten davon gesprochen haben, einen Schichtleiter fertigzumachen … regelrecht fertigzumachen!«
    »Ich werde die Verbrechensmeldungen vorlesen«, sagte Sergeant Yanov abrupt. Und während die anwesenden Polizisten sich allmählich mit wissenden Blicken anzusehen begannen, legte er Lieutenant Finque beruhigend seine Hand auf den Arm. »Sehen wir mal, was so alles geboten ist. Ach ja, das hier könnte vielleicht zu Hebung der allgemeinen Stimmung beitragen. Ein Triebtäter steckte sich seine Automatik in den Gürtel, während er sein Opfer dazu zwang, ihm einen zu blasen, und das hat den Kerl dermaßen erregt, daß er sich mit einem Mal seine Eier weggeballert hat!« Der tosende Beifall, der auf diese Meldung hin ausbrach, schreckte Lieutenant Finque entsetzt auf. Das einzige, was ihn daran hinderte, aufzuspringen, war Sergeant Yanovs starke linke Hand, die seinen Unterarm auf die Tischplatte preßte. »Seht euch außerdem ein bißchen nach Melvin Barnes um«, fuhr Sergeant Yanov fort. »Er wohnt hier in der Gegend und hat sich schon einige Zeit nicht mehr bei seinem Bewährungshelfer gemeldet. Er treibt sich sicher auf der Western Avenue herum, weil er dort einfach so was wie eine Berühmtheit ist. Außerdem macht es ihm nichts aus, verhaftet zu werden. Er braucht das sozusagen schon fast. Leute wie ihn gibt's ja zu Tausenden.«
    »Amen«, fiel Spermwhale Whalen ein. »Wenn ihr mich fragt, dann trifft das auf mindestens die Hälfte dieser Scheißbevölkerung zu. Die kommen allein nicht mit ihrem Leben klar, also soll sich irgendeine staatliche Institution um sie kümmern. Wir sollten vielleicht unsere Gefängnisse noch ein wenig komfortabler ausstatten, dafür sorgen, daß die Jungs ab und zu auch mal zum Vögeln kommen und so; und ich kann euch sagen, ihr würdet keinen von denen mehr auf den Straßen finden. Scheiße, es wäre wahrscheinlich wesentlich billiger, sie ein wenig bei Laune zu halten und für den Rest ihres Lebens einzulochen, als sie ständig wieder von neuem durch das ganze Scheißsystem zu jagen; und das auch noch auf Kosten der Unglücklichen, die ihnen dabei dummerweise in die Quere kommen.«
    »Du hast ja 'ne Menge guter Ideen, Spermwhale«, bemerkte Harold Bloomguard. »Hast du dir schon mal überlegt, dich zum Sergeant pervertieren zu lassen?« Während Sergeant Yanov sich also bemühte, die allgemeine Stimmung etwas zu heben, damit die Männer ihren Dienst mit einem gewissen Maß an Zuversicht antreten konnten, ging Lieutenant Finque ein paar Briefe durch, die ihm mit der Abteilungspost zugestellt worden waren. Die Stimmen Yanovs und der Männer schienen weit entfernt zu sein. Der Lieutenant bemerkte auch nicht Francis Tanaguchis Grinsen, als er den letzten Umschlag öffnete. Er enthielt ein Foto aus dem Labor, auf dem eine neunzehnjährige Schwarze abgebildet war, die schon drei Wochen tot gewesen war, bis ihre Leiche entdeckt und die Aufnahme gemacht wurde. Ihr weißes Haar war elektrisch aufgeladen. Ihre silbrigen Augen standen offen, und aus ihrem Mund ragte die schwarze Zunge. An das Foto war ein kleiner Zettel mit folgender Aufschrift geheftet: ›Lieber Lieutenant Finque, wie kommt es, daß Sie mich nicht mehr besuchen kommen, seit Sie in die Westside versetzt worden sind? Sie schnuckeliger, blauäugiger kleiner Teufel!‹ Der Lieutenant blinzelte und zuckte und hoffte, an diesem Abend die Wache noch bei lebendigem Leibe verlassen zu können. Dann stand er plötzlich auf und sagte etwas Unverständliches zu Sergeant Yanov, bevor er den Raum verließ.
    An diesem Abend legte jemand eine fingierte Zeitbombe, die aus mit Klebstreifen zusammengehaltenen Warnlichtern und einem billigen Wecker bestand, unter Lieutenant Finques Schreibtisch, als dieser sich gerade einen Kaffee

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