Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
Sorge verdüstert. Tolpan hockte an der Säule und sah nach oben. Flint lehnte gegen eine Tür, zu erschöpft, um zu schimpfen.
»Wo ist Flußwind?« fragte Tanis. Er sah Caramon und Sturm Blicke austauschen, dann senkten sie ihre Augen.Tanis taumelte weiter, Zorn ließ ihn die Schmerzen vergessen. Sturm erhob sich und stellte sich ihm in den Weg.
»Es ist seine Entscheidung,Tanis. Es ist die Art seines Volkes, so wie mein Volk seine eigene Art hat.«
»Geh mir aus dem Weg«, sagte Tanis mit zitternder Stimme. Flint sah auf; Gram und Kummer und Leid, die sich im Gesicht des Zwergs im Laufe von mehr als hundert Jahren eingegraben hatten, ließen seinen finsteren Blick weicher erscheinen. Tanis erblickte in Flints Augen jene Weisheit, die ihn, einen unglücklichen Jungen, zur Hälfte Mensch und zur Hälfte Elf, zu einer seltsamen und beständigen Freundschaft mit einem Zwerg bewegt hatte.
»Setz dich hin, Junge«, sagte Flint sanft, als ob auch er sich an die Anfänge ihrer Freundschaft erinnerte. »Wenn dein Elfenverstand nicht begreifen kann, dann höre einmal auf dein Menschenherz.«
Tanis schloß die Augen, Tränen hingen an seinen Wimpern. Dann hörte er aus dem Tempel einen Aufschrei – Flußwind.Tanis stieß den Zwerg zur Seite und riß die riesigen goldenen Türen auf. Seinen Schmerz ignorierend, eilte er mit Riesenschritten zur nächsten Tür und betrat die Kammer von Mishakal. Wieder hatte er das Gefühl von Frieden und Ruhe, aber jetzt verstärkten diese Gefühle seinen Zorn auf das, was geschehen war.
»Ich kann nicht an euch glauben!« schrie Tanis. »Was für Götter seid ihr, daß ihr immer wieder Opfer wollt? Ihr seid dieselben Götter, die die Umwälzung über die Menschen gebracht habt. Nun gut – ihr seid mächtig! Aber jetzt laßt uns in Ruhe. Wir brauchen euch nicht!« Der Halb-Elf weinte. Durch seine Tränen konnte er sehen, daß Flußwind mit einem Schwert in der Hand vor der Statue kniete. Tanis stolperte nach vorn, in der Hoffnung, den Akt der Selbstzerstörung zu verhindern. Er umrundete den Sockel der Statue und hielt wie erstarrt inne. Eine Minute lang weigerte er sich, zu glauben, was er sah; vielleicht spielten die Trauer und der Schmerz ihm etwas vor. Er hob seine Augen zu dem schönen ruhigen Gesicht der Statue und beruhigte seine verwirrten Sinne. Dann sah er wieder nach unten.
Dort lag Goldmond, schlafend, ihre Brust hob und senkte sich mit dem Rhythmus ihres ruhigen Atems. Der Stab war wieder
Teil der Marmorstatue, aber Tanis sah nun, daß Goldmond um ihren Hals jenes Amulett trug, das einst die Statue geschmückt hatte.
»Jetzt bin ich eine wirkliche Klerikerin«, sagte Goldmond leise. »Ich bin eine Jüngerin von Mishakal, und ich habe die Kraft meines Glaubens, obwohl ich noch viel lernen muß. Vor allem bin ich jedoch eine Heilerin. Ich bringe das Geschenk der Heilkunst zurück.«
Sie streckte ihre Hand aus und berührte Tanis an der Stirn und flüsterte ein Gebet zu Mishakal. Der Halb-Elf spürte Frieden und Kraft durch seinen Körper fließen, die seinen Geist klärten und seine Wunden heilten.
»Jetzt haben wir also eine Klerikerin«, sagte Flint, »das ist gar nicht so übel. Aber nach allem, was wir erfahren haben, ist auch dieser Lord Verminaard ein Kleriker und zudem ein sehr mächtiger.Wir haben wohl die uralten guten Götter gefunden, aber er hat die uralten bösen Götter ein wenig schneller gefunden. Mir ist nicht klar, wie uns diese Scheiben eigentlich gegen Horden von Drachen helfen sollen.«
»Du hast recht«, erwiderte Goldmond. »Ich bin kein Kämpfer. Ich bin ein Heiler. Ich habe nicht die Macht, die Völker unserer Welt zu vereinen, um das Böse zu bekämpfen und das Gleichgewicht wiederherzustellen. Meine Pflicht ist es, die Person zu finden, die die Stärke und die Weisheit für diese Aufgabe hat. Ihr werde ich die Scheiben von Mishakal übergeben.«
Die Gefährten blieben lange Zeit schweigsam. Dann ...
»Wir müssen hier verschwinden, Tanis«, zischte Raistlin aus dem Schatten des Tempels, in dem er stand und von wo aus er durch die Tür in den Hof starrte. »Hört doch.«
Hörner. Sie alle konnten das schrille Schmettern unzähliger Hörner hören, vom Nordwind an ihre Ohren getragen.
»Die Armeen«, sagte Tanis leise. »Der Krieg hat begonnen.«
Die Gefährten flohen im Zwielicht aus dem, was einmal Xak Tsaroth gewesen war. Sie marschierten gen Westen, auf das
Gebirge zu. Die Luft war eisigkalt. Totes, vom Wind getragenes Laub
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