Die Chronik der Drachenlanze 1 + 2
amüsierte Blicke austauschen sah. »He, Raist«, rief er, »komm zu uns. Tolpan sucht Holz, und ich kann vielleicht einen Hasen erlegen.«
»Erlege nichts!« Raistlin brachte nur noch ein Wispern hervor, das alle aufschreckte. »Richte keinen Schaden an im Düsterwald! Weder Pflanze noch Baum,Vogel oder Tier !«
»Ich meine, Raistlin hat recht«, sagte Tanis. »Wir müssen hier die Nacht verbringen, und ich will kein Tier in diesem Wald töten, wenn es nicht unbedingt sein muß.«
»Elfen wollen niemals töten«, murrte Flint. »Der Magier ängstigt
uns zuTode, und du läßt uns verhungern. Nun, falls uns heute nacht etwas angreift, hoffe ich, daß es etwas Eßbares ist!«
»Das hoffe ich auch, Zwerg.« Caramon seufzte schwer und ging zum Bach, um seinen Hunger zu ertränken.
Tolpan kehrte mit Brennholz zurück. »Ich habe es nicht geschnitten«, versicherte er Raistlin. »Ich habe es nur aufgehoben.«
Aber selbst Flußwind brachte das Holz nicht zum Brennen. »Das Holz ist feucht«, erklärte er schließlich.
»Wir brauchen Licht«, sagte Flint unsicher, als die nächtlichen Schatten immer dichter wurden. Die Geräusche im Gehölz, die am Tage unschuldig waren, schienen nun böse und bedrohlich.
»Du fürchtest dich doch nicht etwa vor Kindergeschichten«, zischte Raistlin.
»Nein!« schnappte der Zwerg. »Ich will nur sicherstellen, daß der Kender in der Dunkelheit meinen Rucksack nicht ausplündert.«
»Nun gut«, sagte Raistlin mit ungewohnter Milde. Er sprach einen Befehl: »Shirak.« Ein blasses weißes Licht strahlte vom Kristall an der Spitze seines Stabes. Es war ein gespenstisches Licht, und es konnte wenig in der Dunkelheit ausrichten, in der Tat schien es das Bedrohliche der Nacht nur zu verstärken.
»Da hast du Licht«, hauchte der Magier sanft. Er steckte den Stab in den feuchten Boden.
Im selben Moment stellte Tanis fest, daß seine Elfensicht verschwunden war. Er hätte die warmen roten Umrisse seiner Gefährten sehen müssen, aber sie waren nicht mehr als dunkle Schatten, die sich von der Dunkelheit der Lichtung abhoben. Der Halb-Elf sagte den anderen nichts, aber das friedliche Gefühl, das er zuvor genossen hatte, war von einem Splitter der Angst durchbohrt.
»Ich werde die erste Wache übernehmen«, bot Sturm an. »Mit dieser Kopfwunde sollte ich sowieso nicht schlafen. Ich kannte mal einen Mann, der damit geschlafen hat – er ist nicht mehr aufgewacht.«
»Wir werden zu zweit Wache halten«,sagte Tanis.»Die erste übernehmen wir beide.«
Die anderen öffneten ihre Rucksäcke und bereiteten ihr Lager auf dem Gras, alle außer Raistlin. Er blieb auf dem Weg sitzen, das Licht seines Stabs schien auf seinen gebeugten Kopf. Sturm machte es sich neben einem Baum bequem. Tanis ging zur Quelle und trank gierig. Plötzlich vernahm er hinter sich einen unterdrückten Schrei. Er zog sein Schwert und stand wie erstarrt. Die anderen hatten auch ihre Waffen gezogen. Nur Raistlin saß bewegungslos da.
»Legt eure Schwerter weg«, sagte er. »Sie werden euch nichts nützen. Nur eine Waffe mit einer mächtigen Magie kann da etwas ausrichten.«
Sie wurden von einer Armee von Kriegern umzingelt. Dies allein hätte schon ausgereicht, das Blut gefrieren zu lassen. Aber damit wären die Gefährten noch fertig geworden. Womit sie nicht umgehen konnten, war das Grauen, das sie überwältigte und ihre Sinne betäubte.Alle erinnerten sich an Caramons Ausspruch: »Ich kämpfe jeden Tag mit Lebenden, wenn es sein muß – aber nicht mit den Toten!«
Diese Krieger waren tot.
Nicht mehr als ein flüchtiges, zerbrechliches weißes Licht umriß ihre Gestalten. Es war, als ob ihre menschliche Wärme nach dem Tod immer noch an ihnen haftete. Das Fleisch war verfault und ließ nur noch eine Vorstellung des Körpers zurück. Jeder Kämpfer war in eine uralte, unvergessene Rüstung gekleidet. Jeder Kämpfer trug Waffen.Aber die Toten brauchten keine Waffen. Die Angst, die sie auslösten, oder die Berührung ihrer grabeskalten Hände reichte schon,Tod zu bringen.
Wie können wir gegen diese Wesen kämpfen? dachte Tanis verzweifelt. Niemals hatte er vor Feinden aus Fleisch und Blut Angst empfunden. Panik überfiel ihn, und er überlegte, den anderen zuzuschreien, sich umzudrehen und wegzulaufen.
Wütend zwang sich der Halb-Elf, die Ruhe zu bewahren, sich der Wirklichkeit zu stellen. Wirklichkeit! Fast mußte er über diese Ironie lachen. Weglaufen war sinnlos: sie würden sich
verirren, verlorengehen. Sie
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