Die Chronik der Drachenlanze 3 + 4
»Wenn du ihn betrachtest, denke an Alhana Sternenwind und wisse, daß auch sie irgendwo an dich denkt.«
Plötzlich flossen Tränen aus Sturms Augen. Er neigte seinen Kopf, unfähig zu sprechen. Dann küßte er den Edelstein und verstaute ihn vorsichtig in seinem Gürtel. Er streckte seine Hände aus, aber Alhana zog sich in den Toreingang zurück, ihr blasses Gesicht abgewandt.
»Bitte geh«, sagte sie. Sturm stand einen Moment unentschlossen da, aber er durfte ihre Bitte nicht abschlagen, das gebot ihm sein Kodex. Der Ritter drehte sich um und war im nächsten Moment im Grauen der Straße verschwunden.
Alhana hatte ihm einen Moment lang nachgesehen, dann legte sich eine verhärtende Schale schützend um sie. »Vergib mir, Sturm«, flüsterte sie. Dann hielt sie inne. »Nein, vergib mir nicht«, sagte sie barsch. »Danke mir.«
Sie schloß ihre Augen, imaginierte ein bestimmtes Bild und sandte eine Nachricht zu den Außenbezirken der Stadt, wo ihre Freunde auf sie warteten, um sie von dieser Welt der Menschen fortzuholen. Als sie ihre telepathische Antwort erhielt, seufzte Alhana auf und begann eifrig den raucherfüllten Himmel abzusuchen.
»Aha«, sagte Raistlin ruhig, als die ersten Hörner durch die Stille des Nachmittags schallten. »Ich habe es euch gesagt.«
Flußwind warf dem Magier einen ärgerlichen Blick zu, während er überlegte, was zu tun sei. Es war eine einfache Sache, die Gruppe vor den Stadtwachen zu beschützen, aber eine ganz andere, sie vor den Drakonierarmeen und Drachen zu bewahren! Flußwinds dunkle Augen schweiften über die Gruppe. Tika hatte sich erhoben, die Hand am Schwert. Das junge Mädchen
war mutig und stark, aber nicht waffengeübt. Der Barbar konnte immer noch die Narben an ihren Händen sehen, wo sie sich selbst geschnitten hatte.
»Was ist das?« fragte Elistan mit verdutztem Blick.
»Der Drachenfürst greift die Stadt an«, antwortete Flußwind barsch und versuchte weiter nachzudenken.
Er hörte ein Rasseln. Caramon war aufgestanden, der Krieger wirkte ruhig und gelassen. Das war erleichternd. Obwohl Flußwind Raistlin verabscheute, mußte er zugeben, daß der Magier und sein Kriegerbruder Eisen und Magie wirkungsvoll zu verbinden verstanden.Auch Laurana wirkte beherrscht und entschlossen, aber sie war eine Elfe. Flußwind hatte nie gelernt, Elfen richtig zu vertrauen.
»Verschwindet aus der Stadt, falls wir nicht zurückkehren«, hatte Tanis ihm gesagt. Aber Tanis hatte das jetzt nicht vorausgesehen! Sie würden aus der Stadt gehen, nur um in den Ebenen auf die Armeen des Drachenfürsten zu stoßen. Nun war Flußwind auch klar, wer sie die ganze Zeit über auf ihrer Reise zu diesem, dem Untergang geweihten Ort beobachtet hatte. Er fluchte in seiner Sprache. Doch dann, als die ersten Drachen über der Stadt kreisten, fühlte er Goldmonds Arm. Er sah sie an, sie lächelte – es war das Lächeln der Tochter des Stammeshäuptlings –, und er sah den Glauben in ihren Augen. Den Glauben an die Götter und den Glauben an ihn. Ihm wurde leichter ums Herz, seine Angst war verschwunden.
Ein Krachen ließ das Gebäude erzittern. Sie konnten von den Straßen das Geschrei und das Zischen der Flammen hören.
»Wir müssen von diesem Stockwerk verschwinden, zurück nach unten«, sagte Flußwind. »Caramon, hole das Schwert des Ritters und die anderen Waffen. Wenn Tanis und die anderen . . .«, er hielt inne. Er wollte »noch leben« sagen, aber sah dann Lauranas Gesicht. »Wenn Tanis und die anderen entkommen sind, werden sie zurückkommen.Wir warten auf sie.«
»Hervorragende Entscheidung!« zischte der Magier beißend. »Besonders, da wir sowieso nirgendwohin gehen können!«
Flußwind ignorierte ihn. »Elistan, nimm die anderen mit nach unten. Caramon und Raistlin, bleibt einen Moment hier mit mir. Ich glaube, das beste wird es sein, wenn wir uns hier im Wirtshaus verschanzen. Die Straßen bringen den Tod.«
»Wie lange, glaubst du, können wir das durchhalten?« fragte Caramon.
Flußwind schüttelte den Kopf. »Einige Stunden vielleicht«, gab er kurz zurück.
Die Brüder sahen sich an, beide dachten an die entstellten Leichen, die sie im Dorf Que-Shu gesehen hatten, und an die Zerstörung von Solace.
»Wir werden das nicht überleben«, flüsterte Raistlin.
Flußwind holte tief Atem. »Wir werden ausharren, solange wir können«, sagte er mit leicht bebender Stimme, »aber wenn wir wissen, daß wir nicht mehr können...« Er hielt inne, unfähig
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