Die Chronik der Drachenlanze 5 + 6
und dann wird sie anordnen, die Elfe in die Todeskammern tief unter dem Tempel zu führen. Es interessiert mich nicht, was danach mit der Elfe passiert, und darum gebe ich sie dir. Auf mein Zeichen hin wirst du vortreten. Ich werde dich der Königin vorstellen. Bitte sie um einen Gefallen. Bitte sie, die Elfenfrau in die Todeskammer führen zu dürfen. Wenn sie von dir angetan ist, wird sie dir den
Wunsch erfüllen. Dann kannst du sie zu den Stadttoren oder wohin auch immer bringen und sie freilassen. Aber ich will dein Ehrenwort, Halb-Elf, daß du zu mir zurückkehrst.«
»Das hast du«, sagte Tanis, ihrem Blick standhaltend.
Kitiara lächelte. Ihr Gesicht entspannte sich. Es war wieder so schön, daß sich Tanis fragte, über die plötzliche Umwandlung verblüfft, ob er wirklich das andere, das grausame Gesicht gesehen hatte. Sie legte ihre Hand auf Tanis’ Wange und streichelte seinen Bart.
»Ich habe dein Ehrenwort. Bei anderen Männern bedeutet es nicht unbedingt viel, aber ich weiß, du wirst es halten! Eine letzte Warnung, Tanis«, flüsterte sie schnell. »Du mußt die Königin überzeugen, daß du ihr loyaler Diener bist. Sie ist mächtig, Tanis ! Sie ist eine Göttin, vergiß es nicht! Sie kann in dein Herz sehen, in deine Seele. Du mußt sie felsenfest davon überzeugen, daß du ihr gehörst. Eine Geste, ein falsch klingendes Wort, und sie wird dich zerstören. Dann werde ich nichts für dich tun können. Wenn du stirbst, wird auch deine Lauralanthalasa sterben!«
»Ich verstehe«, sagte Tanis. Ihm wurde eiskalt unter der kühlen Rüstung.
Ein schmetternder Trompetenruf ertönte.
»Das ist unser Signal«, sagte Kitiara. Sie streifte ihre Handschuhe über und setzte den Drachenhelm auf. »Geh nach vorn, Tanis. Führe meine Soldaten. Ich komme als letzte.«
In ihrer glitzernden nachtblauen Drachenschuppenrüstung prächtig anzusehen, trat Kitiara hochmütig zur Seite, als Tanis durch den verzierten Eingang in die Empfangshalle schritt.
Die Menge begann beim Anblick des blauen Banners zu jubeln. Oben in seiner Nische brüllte Skie triumphierend. Sich der unzähligen Augen um sich bewußt, zwang sich Tanis, nur an das zu denken, was er tun mußte. Er hielt seine Augen auf sein Ziel fixiert – die Plattform in der Halle neben der von Lord Ariakus, die Plattform, geschmückt mit dem blauen Banner. Hinter sich hörte er das rhythmische Aufstampfen der Klauenfüße, als Kitiaras Ehrenwache stolz einmarschierte. Tanis erreichte
die Plattform und stellte sich auf die unterste Stufe, so wie Kitiara es befohlen hatte. Die Menge beruhigte sich, und dann, als der letzte Drakonier eingetreten war, erhob sich ein Murmeln in der Halle. Man reckte die Hälse, ungeduldig auf Kitiara wartend.
Kit blieb im Vorzimmer, wollte die Spannung noch erhöhen, als sie aus ihren Augenwinkeln eine flüchtige Bewegung wahrnahm. Sie drehte sich um. Fürst Soth war zurückgekommen, seine Wachen trugen in ihren fleischlosen Armen einen in ein weißes Tuch gehüllten Körper. Die lebhaften Augen der erregten Frau und die leeren Augen des toten Ritters trafen sich im vollendeten Einverständnis und Verstehen.
Fürst Soth verbeugte sich.
Kitiara lächelte, dann drehte sie sich um und betrat unter tosendem Applaus die Empfangshalle.
Auf dem kalten Boden der Zelle liegend, versuchte Caramon verzweifelt, nicht das Bewußtsein zu verlieren. Der Schmerz ließ allmählich nach. Der Schlag hatte ihn nur gestreift und den Offiziershelm, den er getragen hatte, verschoben; hatte ihn zwar niedergeschmettert, aber nicht ausgeschaltet.
Er täuschte trotzdem eine Ohnmacht vor, da ihm in seiner Hilflosigkeit nichts anderes einfiel.Warum war Tanis nicht hier, dachte er verzweifelt, wieder einmal den eigenen schwerfälligen Verstand verfluchend. Der Halb-Elf würde einen Plan haben, würde wissen, was zu tun war. Man hätte mich nicht mit dieser Verantwortung allein lassen dürfen! Caramon fluchte bitterlich. Dann hörte er eine Stimme aus der dunkelsten Ecke seines Gehirns: Hör auf zu jammern, du großer Ochse! Sie sind auf dich angewiesen! Caramon blinzelte, dann riß er sich zusammen, denn beinahe hätte er gegrinst. Die Stimme war der von Flint so ähnlich gewesen, er hätte schwören können, daß der Zwerg neben ihm gestanden hatte! Er hatte recht. Sie waren auf ihn angewiesen. Er mußte jetzt einfach sein Bestes geben. Das war alles, was er tun konnte.
Caramon öffnete seine Augen einen Spalt und spähte aus
halbgeschlossenen Lidern
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